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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Abend war noch lange Zeit.
    Als er wieder erwachte und es schon dunkelte, kümmerte er sich um sein Pferd, das vor dem Zelt angepflockt war. Er machte es los und ritt weit vor das Lager bis zu einem Bach, der noch etwas Wasser führte. Er kam nicht ganz hinaus aus dem Bereich der Gerüche und Geräusche des Lagers, aber das Gewirr von Stimmen, das Klappern aus Küche und Vorratszelten, der Geruch aus großen Kesseln mit Einheitsessen, der Gestank von ungewaschenen Kleidern und Menschenkörpern kamen doch nur noch schwach, mit ihren Ausläufern, zu den Wiesen und dem Ufer des Baches, an dem Harry jetzt sein Pferd saufen ließ. Der Abendwind wehte.
    Im Westen lag noch ein heller Streifen über den ins Violette dunkelnden Bergen. Die ersten Sterne flimmerten an dem Himmel auf, den die Sonne verlassen hatte.
    Die Großmutter, von der das Mestizenmädchen gesprochen hatte, war gekommen.
    Harry beobachtete unauffällig diese Indianerfrau, eine dick gewordene alte Frau, die tagsüber in der Küche arbeitete und auf diese Weise sich und ihr Enkelkind versorgte. Sie hatte das Kind mitgebracht, ein Mädchen von vier Jahren. Während das Kind sich im seichten Wasser puddelte, sprach die Alte in der Zeichensprache, aber nicht mit dem Kinde, wie jeder nicht eingeweihte Beobachter geglaubt haben würde, sondern zu Harry, den sie mit seinem indianischen Namen Harka ansprach. Sie ließ ihn wissen, daß Charlemagne ein junges Küchenmädchen mit weißer Haut zur Abschiedsfeier eingeladen und daß er angedeutet hatte, es werde bei der Feier viel zu essen und zu trinken geben und auch sonst hoch hergehen, und aus einigen Wendungen hatte die Alte geschlossen, daß die Männer etwas Böses gegen irgend jemand planten. Der junge Indianer spähte umher, und als er sich überzeugt hatte, daß er nicht beobachtet wurde, antwortete er, auch in der Zeichensprache: »Der blonde Bart soll mit allen unseren Brüdern kommen.«
    Die Alte verstand. Während Harka mit seinem Pferd noch am Bache blieb, rief sie das Kind, hieß es, sich wieder anzuziehen, und ging zum Lager zurück. Sie bewohnte mit den Negerinnen zusammen einen Gemeinschaftsraum neben der Küche. Dorthin brachte sie die Enkelin. Dann holte sie aus der alten Kiste, die sie sich als Aufbewahrungsort für ihre Habseligkeiten verschafft hatte, einen leinenen Mannskittel hervor, den sie geflickt hatte, und ging damit hinüber in die Schreibstube, in der die Lohnlisten geführt wurden. Ein blondbärtiger Mensch, der durch seinen Bart älter aussah, als er war, fegte die Schreibstube eben aus. Die Alte nahm ihm den Besen aus der Hand und stellte ihn an die Wand, sie legte den geflickten Kittel auf den Schreibtisch und sagte zu dem Blondbärtigen: »Bringe zur Abschiedsfeier alle Freunde mit. Harry kommt.«
    Der junge Mann nahm seinen Kittel, dankte und verließ den Raum. Draußen zog er den Kittel über, schaute nach den Sternen, stellte fest, daß es noch sehr früh am Abend war und er genügend Zeit hatte, zwar nicht, um eine Stunde zu vergeuden, aber doch, um in Ruhe vorzugehen. Er schlenderte wie absichtslos zum Gleis, an den Abschnitt, an dem der erwartete Zug halten mußte, und traf dort einen Trapper, der, die Büchse im Arm, eine Art Aufsicht führte.
    »Wir setzen uns mit Harry zusammen, heute nacht bei der Feier«, sagte er nebenhin und erkundigte sich dann, was der Zug voraussichtlich für Ladung führen würde. Als die beiden in größerer Entfernung Red Jim auftauchen sahen, ging der Blondbärtige weg. Jim hatte ihn bis jetzt noch nicht wiedererkannt, aber er wollte ihm auch keine Gelegenheit geben, ihn aufmerksam ins Auge zu fassen. MacLean war vor drei Jahren bei einem Streik der Eisenbahnbauarbeiter um ein Haar Red Jims Revolver zum Opfer gefallen. Er war entlassen worden, hatte sich aber unter falschem Namen und verändert durch den inzwischen gewachsenen Bart wieder anwerben lassen. Der Mann in der Schreibstube, betrachtete ihn als seinen Burschen und Diener und nutzte ihn weidlich als Aushilfe beim Listenschreiben aus. So wußte MacLean mit vielem Bescheid, was ihn nach Meinung der Lagerleitung sicherlich nicht das geringste anging. Von ihm hatte Harka auch erfahren, was Jim als Manager einer Kundschaftergruppe von sechs Mann als Löhnung für diese erhielt, und Jim mußte seitdem etwas mehr herausrücken. Die Auseinandersetzung war kurz und bündig verlaufen, und Jim haßte Harry dafür noch mehr.
    Während der Blonde weiter im Lager umherstrich, war der junge Indianer zu
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