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Heimkehr in den Palast der Liebe

Heimkehr in den Palast der Liebe

Titel: Heimkehr in den Palast der Liebe
Autoren: Alexandra Sellers
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gejagt. Wenn wir sie kommen hörten, rannten wir immer zum Küchengebäude."
    "Ja", sagte er, denn sie hatte ihm schon davon erzählt.
    Shakira holte tief Luft. "Eines Tages war ich im Schulzelt. Wir hatten nur ein paar Schulbücher, und die wurden immer dort aufbewahrt. Ich saß dort und lernte allein, deshalb hörte ich die Flugzeuge nicht. Ich stand gerade auf, um meinen Bleistift mit einem Messer zu spitzen. Da erst merkte ich, dass die Flugzeuge kamen. Ich rannte zur Tür. Fast alle waren schon in der Küche, und die Flugzeuge waren so nah, und ich wusste nicht, ob ich noch losrennen sollte oder nicht. Ich war …" Selbst jetzt noch wurde sie von der Angst fast überwältigt. Sharif legte den Arm um sie. "Ich hatte solche Angst."
    Ihr Ausdruck veränderte sich. "Da kam jemand um die Ecke des Schulzelts. Es war er. Der Kaljuk. Ich sah, wie sich sein Gesichtsausdruck änderte, als er mich entdeckte. Er ging sofort auf mich zu. Und dann … ich wäre fortgerannt, trotz der Flugzeuge, aber er packte mich und stieß mich zurück ins Zelt, bevor … bevor ich …"
    Sie schluchzte auf, doch ihre Augen waren trocken.
    "Shakira, ich liebe dich", sagte Sharif.
    "Ich … er zerrte mich zum Lehrerpult und versuchte, mich nach unten zu drücken, und ich … ich …" Sie hob den Kopf und blickte Sharif direkt in die Augen.
    "Ich hatte immer noch das Messer in der Hand", sagte sie.
    Zum ersten Mal erlaubte er sich wieder zu atmen.
    Wieder holte sie tief Luft. "Ich habe ihn erstochen. Ich weiß nicht, wie und wo ich ihn getroffen habe, ich weiß nur noch, dass ich ausgeholt habe und … ich hasste ihn, und ich stach zu, so fest ich konnte."
    Sie wandte den Blick ab und blickte wieder in die Ferne. "Da war Blut … plötzlich war da überall Blut. Er stöhnte, und ich gab ihm einen Stoß, so dass er zu Boden fiel. Dann rannte ich nach draußen. Meine Hände waren voller Blut, und über mir kreischten die Flugzeugmotoren, sie flogen ganz tief. Ich war sicher, sie würden mich erwischen." Ihre Augen waren riesengroß und blicklos in die Ferne gerichtet.
    "Ich werde das niemals vergessen – wie ich da zur Küche rannte mit dem Blut dieses Mannes an meinen Händen, und die Flugzeuge … und die Bomben fielen …"
    Sharif weinte. Aus Erleichterung, aus Wut, aus Gefühlen, die stärker waren als alles, was er je in seinem Leben gefühlt hatte.
    "Niemand hat je danach gefragt, wie er zu Tode gekommen war. Ich glaube, manche der Männer – so wie sie untereinander Blicke austauschten, als sie seine Leiche fanden – ich glaube, sie wussten, dass es nicht die Bomben waren, die ihn getötet hatten. Einer sagte: 'Das ist Gottes Strafe.' Außerdem gab es an diesem Tag so viele Leichen, dass niemand Fragen stellte." Shakira hob den Kopf und sah Sharif abwartend an.
    "Willst du behaupten, du hättest auch nur eine Sekunde Schuldgefühle gehabt?" fragte Sharif.
    "Nein", flüsterte sie. "Ich kann mich einfach nicht schuldig fühlen – auch wenn ich ihn getötet habe. Deshalb musste ich es dir unbedingt erzählen, Sharif. Es hat mir damals nicht Leid getan, was ich getan habe – und es tut mir heute nicht Leid. Und vielleicht … vielleicht macht mich das zu einem genauso schlechten Menschen, wie er einer war. Er war ein so schlechter Mensch! Frauen klatschten in die Hände und spuckten auf seine Leiche, als er gefunden wurde. Und ich war froh, dass ich ihn getötet hatte, weil er nun niemandem mehr etwas tun konnte."
    "Ich bin auch froh, meine Geliebte", sagte er leise.
    Er drückte sie an sich, und sie seufzte tief. Dann gingen sie ein Stück weiter.
    "Und dann hast du dich wieder in Hani verwandelt, nicht wahr?"
    Sie lachte bitter. "Ja. Eine Woche später wurde das Küchengebäude bombardiert, und meine Stiefmutter kam ums Leben. Das Lager wurde … wir wurden auf andere Lager verteilt, und es war leicht, sich als Junge auszugeben."
    "Und später hattest du dann das Bedürfnis, andere Frauen und Mädchen zu beschützen – wie zum Beispiel Farida und Jamila."
    "Ich … ich schätze, ja."
    "Mein tapferer, mutiger Hani. Und wovor hast du dich bei mir gefürchtet? Hast du etwa geglaubt, ich könnte sagen, was du getan hast, war falsch?"
    "Ich … ich weiß nicht. Ich wusste nur, ich muss es dir sagen. Aber ich konnte nicht. Und dann … habe ich es Mazin erzählt. Er hat mir Mut gemacht."
    Sharif blieb stehen und drückte Shakira an sich. Sie legte den Kopf auf seine Brust und lauschte auf das Pochen seines Herzens.
    "Das ist es also, was
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