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Heimkehr in den Palast der Liebe

Heimkehr in den Palast der Liebe

Titel: Heimkehr in den Palast der Liebe
Autoren: Alexandra Sellers
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staubigen, trostlosen Umgebung.
    Es herrschte Totenstille. Sharif stieg aus. Er war hoch gewachsen, genau wie der Sultan, und er hatte den Körperbau eines Kriegers und eine stolze, manche würden sagen arrogante, Haltung. Sein kantiges Kinn und seine gerade Nase fielen auf, er hatte sie von seiner ausländischen Mutter geerbt. Seine Oberlippe war wohlgeformt, seine volle Unterlippe zeugte von einer leidenschaftlichen Natur, von der jedoch nur wenige etwas ahnten. Der Blick seiner dunklen Augen, unter fast geraden schwarzen Brauen, ließ auf hohe Intelligenz schließen. Seine Wangenknochen waren ziemlich ausgeprägt, sein Teint glatt. Sein gewelltes schwarzes Haar war kurz geschnitten und aus der Stirn zurückgekämmt.
    Der Knabe setzte sich auf und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Er schien unverletzt zu sein.
    "Du kleiner Dummkopf", sagte Sharif.
    "Wo … wo kommen Sie denn her?" fragte der Kleine atemlos.
    Sein dichter, von der Sonne gebleichter Schopf war unregelmäßig kurz geschnitten. Irgendwie wirkte das Gesicht zu zart für einen Jungen, der volle Mund und die Augen zu groß für dieses Gesicht. Und sein Ausdruck schien viel zu erwachsen für sein Alter – aber so war das bei allen, die in einem Lager wohnten. Sharif schätzte ihn auf ungefähr vierzehn.
    Er lachte unwillig. "Wo ich herkomme? Was zum Teufel machst du hier? Du hast Glück, dass du noch lebst."
    Einen Moment lang starrte ihn der Junge nur aus großen Augen an. Normalerweise trug in diesem Land niemand ein traditionelles arabisches Männergewand und ein Kopftuch, das von einer Kordel gehalten wurde. Doch Djellaba und Keffiyeh waren bei dieser Hitze genau die richtige Bekleidung.
    "Ja, danke", sagte er.
    Das kam so unerwartet, dass Sharif hell auflachte. Er zog ein goldenes Etui aus der Tasche seiner Djellaba, nahm eine dünne schwarze Zigarre heraus und schob sie sich zwischen die Lippen. Der Junge ging auf die Knie und streckte die Hand nach einem der Schokoriegel aus. Dabei verzog er plötzlich das Gesicht und fasste nach seinem Knöchel.
    Sharif wollte gerade sein Feuerzeug aus der Tasche ziehen. "Bist du verletzt?"
    "Nein", log der Junge, als ob es gefährlich sei, eine Schwäche einzugestehen. Er presste die Lippen aufeinander und versuchte erneut, seine Habseligkeiten einzusammeln.
    Sharif stellte einen Fuß auf einen blauen, in bunte Pappe verpackten Plastikring, gerade als der Junge danach greifen wollte. Der hob den Kopf und blickte den großen Mann mit den dunklen Augen abschätzend und herausfordernd an.
    "Schlimm?" fragte Sharif.
    Der Junge zuckte mit den Achseln.
    "Wie schlimm bist du verletzt?" fragte Sharif.
    "Warum interessiert Sie das? Fühlen Sie sich besser, wenn Sie so tun, als ginge Sie das etwas an? Wenn Sie weiterfahren in Ihrem schönen, glänzenden Auto, werden Sie sich besser fühlen, weil Sie gefragt haben, wie es mir geht?"
    Der Zynismus war schockierend – vermutlich das Resultat jahrelanger Schikane. Dabei war er immer noch ein Kind. Dass ein menschliches Herz so früh so tief von Misstrauen erfüllt sein konnte! Wie tragisch. Plötzlich wünschte Sharif sich nichts mehr, als diesem Kind verständlich zu machen, dass es auch echte Güte auf der Welt gab.
    Im selben Moment tadelte er sich selbst für diese Schwäche. Seit Wochen sah er nichts als Szenen aus der Hölle, und er hatte es immer geschafft, den Kopf oben zu behalten. Warum nicht jetzt? Warum wegen dieses mageren Kerlchens, das keinem traute? Er wollte sich nicht emotional da hineinziehen lassen. Das wäre eine einseitige Angelegenheit. Sobald man sich nur einen einzigen Fall menschlichen Elends zu Herzen nahm, drohte man in einer Sintflut zu ersticken. Wie ein Chirurg musste man unbedingt Distanz wahren.
    "Sei nicht dumm. Steig ein. Ich bringe dich zu einem Arzt."
    Der Junge wich zurück. "Nein, danke. Nehmen Sie jetzt Ihren Fuß weg? Ich brauche das." Er versuchte, den Gegenstand unter Sharifs Fuß wegzuziehen, zerriss dabei aber nur die Verpackung.
    Den Lastwagenfahrer hatten beide völlig vergessen. Der kam in diesem Moment wütend auf sie zugerannt.
    "Verfluchter kleiner Bastard!" schrie er und beugte sich über den Jungen. "Was hast du gemacht? Du bist einer dieser verdammten Flüchtlinge, was?"
    Er packte ihn beim Handgelenk und zog ihn hoch. Dabei fielen all die Sachen erneut auf den Boden. Der Kleine schrie auf vor Schmerz.
    "Flüchtlinge?" fragte Sharif Azad al Dauleh.
    Plötzlich war es still. Der Lastwagenfahrer betrachtete stumm den
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