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Heimat

Heimat

Titel: Heimat
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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Portugiesen um jeweils gut 1.000. Die türkische Gemeinschaft in Deutschland verlor unter dem Strich gut 8.000 Personen. 277 Es sind kleine Zahlen. Angesichts von beispielsweise rund 1,7 Millionen Türken in Deutschland scheint die Rückwanderung so gering, dass sie natürlich hinter dem Großthema Integration zurücktritt. Doch es gibt sie und die Statistik sagt nicht alles - nicht nur, weil sie nach Staatsbürgerschaft aufteilt und somit die Abwanderung von Eingebürgerten und Doppelstaatlern nicht mehr nachvollziehbar macht. Sie verschweigt auch das, was Soziologen »zirkuläre Migration« nennen - ein Pendeln zwischen Ländern ohne Endgültigkeit.

    Yeliz wollte in Istanbul auf den Bosporus blicken, Kaffee trinken, ein Buch lesen, so hatte sie sich das in Deutschland vorgestellt. »Mein größter Traum war zurückzukehren«, sagt die 30-Jährige. »Ich habe seit meiner Kindheit gesagt, ich will nach Istanbul ziehen.« Denn als Kind lebte sie schon einmal mit ihrer Mutter dort, für eineinhalb Jahre. Es war der Versuch ihrer Eltern, aus Deutschland in die Türkei zurückzukehren.

    Das Ehepaar Anlak war 1970 zum Arbeiten in die Bundesrepublik gekommen, hier bekamen sie ihre vier Kinder. Aber bleiben, richtig hier bleiben für immer, darauf hatten sie nicht gesetzt. Sie lebten für sich, mit ihren türkischen Freunden, die Deutschen waren weit weg. Niemand fragte sie, ob sie Deutsch konnten, den Job in der Fabrik konnte man auch radebrechend schaffen. Die Kinder mussten sich in der Schule doofe Sprüche von den Lehrern anhören, Gastarbeiterkinder, ach je, und in der Oberschule wurde viel gestritten. Nein, sie wollten nach Hause. Yeliz, die Jüngste, war gerade mit der Grundschule fertig und ihre Eltern dachten: Jetzt oder nie. »Meine Eltern wollten schon immer zurück«, erinnert sich die zarte, elegant gekleidete junge Frau. »Die letzte Hoffnung für meine Eltern war ich - wenn, dann hätten sie es zu dem Zeitpunkt geschafft.«

    Mutter und Tochter sollten schon mal vorziehen, der Vater wollte noch geordnet seinen Job abwickeln, vielleicht mit einer kleinen Abfindung. Die älteren Geschwister steckten in der Ausbildung, sie sollten in Deutschland bleiben. Yeliz kam in Instanbul auf eine halbprivate Schule, die ausschließlich die Kinder aus Rückkehrerfamilien unterrichtete. Es war für die Kleine eine harte Zeit. »Ich wollte eigentlich nicht in die Türkei«, sagt sie heute. Der Abschied von den Freunden tat weh, sie hatte Mühe mit ihrer fremden Muttersprache. »Ich sprach wirklich nur gebrochen Türkisch.« Nach einer Weile wurde es besser, das Mädchen begann, sich einzugewöhnen. Doch dann gab es Schwierigkeiten mit dem Rest der Familie in Deutschland.

    Der Vater konnte sich von seinem Arbeitsplatz bei Siemens doch nicht trennen, immer wieder kam etwas Neues dazwischen. Und gleichzeitig erreichten die Mutter in Istanbul beunruhigende Nachrichten: Ihr Sohn, Yeliz’ sieben Jahre älterer Bruder, war mit Drogen erwischt worden. Die Mutter, die die Trennung von ihren drei
älteren Kindern sowieso nicht gut aushielt, brach das Experiment ab. Mit Yeliz kam sie zurück nach Deutschland. Das Kind fragte niemand.

    Es war nicht mehr dasselbe, als sie wieder da waren. »Ich habe mich einfach nicht mehr so deutsch gefühlt nach diesen eineinhalb Jahren«, erzählt Yeliz. Vielleicht war es auch einfach das Alter. In der Grundschule, da verbietet noch niemand seinen Töchtern oder Söhnen den Kontakt mit Türkenkindern. Aber in der Oberschule sortiert sich alles neu. Plötzlich grenzten sich alle gegeneinander ab. Die Deutschen gegen die Türken. Und die Sunniten gegen die Aleviten. Und die Christen gegen die Muslime. »Ich glaube, jeder hat so eine Phase, wo er sein Ich finden muss, wohin er gehört, zu wem er gehört, zu welcher Seite«, weiß Yeliz heute. Damals versuchte sie nur, nicht zwischen die Fronten zu geraten und sich nicht in eine Schablone pressen zu lassen. Sie hatte gute Noten, sie gewöhnte sich wieder ein. Erst auf dem Weg zum Abitur hatte sie einen Hänger. Statt Hochschulreife durchlief sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Aber sie machte ihre Sache gut. Schon mit 23 bekam sie einen Managerposten im Hotel. Bald hatte sie die Chance auf ein Auslandsjahr in der Schweiz. Anschließend heuerte die lebenslustige junge Frau für zwei Jahre auf einem Kreuzfahrtschiff an.

    Die Welt war weit offen, es ging nicht darum, dass Deutschland zu eng und zu deutsch war und ihr keine Chance bot. Yeliz hatte
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