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Heimat

Heimat

Titel: Heimat
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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inzwischen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft. Und trotzdem zog es sie in die Heimat ihrer Eltern. »Man hat die türkische Herkunft, und von den Urlauben her hat mir die Türkei einfach supertoll gefallen, vor allem die Stadt Istanbul«, sagt sie. »Seit der Zeit mit meiner Mutter wollte ich zurück nach Istanbul.« Ihre Eltern waren inzwischen auch in der türkischen Metropole. Nach dem Übergang in die Rente hatten sie 2002 doch noch den Absprung geschafft und sich eine Wohnung am Stadtrand gekauft. Nun war es an der Tochter zu sagen: jetzt oder nie. 2007 ließ sie sich nach dem Engagement auf dem Schiff nicht wieder in Deutschland nieder, sondern zog in ein Zimmer bei ihren Eltern. »Ich sagte mir: Ich will das ausprobieren und dort leben und arbeiten.«

    Es klappte alles wie am Schnürchen - eigentlich. Sie fand in ziemlich kurzer Zeit einen ziemlich guten Job bei der Lufthansa, wo sie mit Deutsch und Englisch glänzen konnte. In einem Büro in der
Istanbuler City kontrollierte sie am Computer die Ladungen der Flieger. Bei ihren Eltern konnte sie günstig wohnen. Und ihre Traumstadt betörte sie tatsächlich - mit dem bunten Leben, und einer Fröhlichkeit und Modernität, die sie von den Türken in Deutschland nicht kannte. Abends als Frau ausgehen? In der Familie rauchen oder trinken? Der Freund kommt über Nacht? Bei ihren neuen Bekannten waren diese Tabus ihrer Kindheit kein Thema. »Die Türkei hat sich wirklich weiter entwickelt im Gegensatz zu den Türken hier«, meint Yeliz. In Deutschland hätten sich die Türken abgekapselt und hielten sich krampfhaft an den alten Traditionen fest.

    »Es hat mir gut gefallen in Istanbul.« Das klingt wie ein Fazit. »Und beruflich war ich eigentlich auch zufrieden.« Dann fügt sie an: »Bis auf den Schichtdienst.« Und bis auf eine ganze Reihe anderer Dinge.

    Ihre Eltern leben in einer kleinen bewachten Siedlung, in der vor allem ältere gläubige Moslems ihren Lebensabend verbringen. Wenn Yeliz mit dem Minirock aus dem Haus kam, gab es missmutige Blicke. Schlimmer noch war die Entfernung von der Arbeit. Die Wege in den 13-Millionen-Moloch und zurück kosteten sie leicht drei, vier Stunden am Tag, die sie vor und nach ihren neunstündigen Schichten im Verkehrschaos verbrachte. Es zerrte an den Nerven. Schließlich nahm sie sich eine Wohnung mit einer Arbeitskollegin ganz in der Nähe des Büros. Großartig, die Fahrzeiten waren weg. »Dann hatte ich allerdings das Problem, dass das Geld nicht mehr gereicht hat.« Die Mieten waren hoch und die permanente Rushhour tobte nun direkt vor ihrer Haustür.

    »Ich habe eines Tages gemerkt, dass ich das Istanbul, von dem ich geträumt hatte, nicht leben kann, wenn ich in Istanbul lebe und arbeite«, sagt sie. Mit dem Buch am Wasser sitzen und die Sonne genießen? Die paar entspannten Momente hätten sie Stunden gekostet, es war einfach zu anstrengend. »Ich dachte, dann gehe ich lieber zurück und komme alle paar Wochen für ein verlängertes Wochenende nach Istanbul und kann das alles genießen, ohne über das Geld nachzudenken oder die Zeit, die ich verliere.«

    Soweit klingt das alles ganz praktisch, oder unpraktisch, jedenfalls rational. Beruflich sah die ehrgeizige junge Frau keine Aufstiegsmöglichkeiten, der Managementstil der Chefs begeisterte
sie auch nicht gerade. Aber statt den Job zu wechseln, wechselte sie gleich das Land - nach nur zwei Jahren in der so lange herbei gesehnten alten Heimat. Warum? Yeliz sagt es so: »Ich habe mir nach diesen zwei Jahren keine Zukunft in Istanbul vorstellen können.«

    Sie erzählt von den türkischen Beamten. Wenn die einen für zehn Uhr bestellen, kann es gut sein, dass man erst um vier dran kommt. Und das Gemauschel. An einen Job in ihrer Branche, im Hotel, käme sie nur mit Beziehungen, meint sie. Und die Nickeligkeiten. Obwohl ihr Türkisch sehr gut sei, hätten sie die Kollegen mit kleinen Fehlern aufgezogen - nicht böse, aber irritierend. Sie spürte Fremdheit.

    Und dann war da der Gedanke an Kinder. »Wenn man sich eine Zukunft für sein Kind wünscht, dann muss es auf eine Privatschule gehen«, meint Yeliz. Nur dort erhalte man in der Türkei die begehrten Abschlusszeugnisse, die eine Karriere sichern. Doch seien die Schulen kaum zu bezahlen. In Deutschland sei es noch nicht so schlimm.
    »Wenn ich gemusst hätte, dann hätte ich es machen müssen«, sagt Yeliz über ihre Traumstadt Istanbul. »Aber wenn man die Wahl hat, dann tendiert man doch eher zu
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