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Heimat

Heimat

Titel: Heimat
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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Deutschland, zu der Stadt, wo man geboren und aufgewachsen ist. Egal, was ich tun würde - dieses Heimatgefühl war einfach nicht da. Es war einfach nicht die Stadt, wo ich mich zu Hause gefühlt habe.«

    Im Herbst 2009 kam Yeliz zurück. Es war eine schwere Entscheidung, wie sie sagt, aber jetzt scheint alles gut. Sie hat keinen Zweifel, dass sie in Berlin bald beruflich wieder Fuß fasst und bald wieder einen großen Freundeskreis hat. Sie nennt Berlin eine »treue Stadt«, in der sie sich einfach sicher und wohl fühlt. Aber dann sagt sie noch: »Es ist schon seltsam, und ich frage mich auch jedes Mal, wie das sein kann. Egal, ob ich in Berlin oder in Istanbul lande, es ist einfach das Gefühl: Ja, ich bin in meiner Stadt, in beiden Städten. Nur, dass ich mir in einer von den beiden Städten vorstellen kann, alt zu werden und eventuell später eine anständige Rente zu bekommen, und in der anderen Stadt nicht.«

V. Der Schluss: Kein Weg zurück

    Und, was bedeutet das nun alles? Wo stehen wir am Ende von mehr als 200 Jahren verzwickter Heimatgeschichte mit all ihren Traumata und Sehnsüchten, nach 20 Jahren in einem neu vereinten Deutschland, dessen Schweißnähte noch mehr als deutlich zu erkennen sind, das nach außen vielleicht entspannter und aufgeräumter wirkt als je seit den Napoleonischen Kriegen und das nach innen so viele Risse und Brüche zu kitten hätte?

    Wir stehen am Anfang. Es gibt keinen Weg zurück. Nicht für die Kriegsflüchtlinge aus dem Libanon und nicht für die Kinder der Arbeiter aus Anatolien, nicht für die in die Jahre gekommenen Jungen Pioniere und nicht für die Enkel ehemaliger Landarbeiter aus Ostpommern. Und auch nicht für die weinselig saumagenfreudigen Nostalgiker der Bonner Republik. Es geht von hieraus nur nach vorn.

    Mein Freund Safi erzählte mir neulich von Kabul. Das Kabul, das er in den 70er-Jahren mit seinen Eltern verließ, war eines, wo es nach Pferdeäpfeln roch, wo die Kutsche seines Großvaters über sandige Wege knirschte, wo zur Essenszeit der herrliche Duft von frisch gekochtem Reis und der süßliche Klang afghanisch-indischer Klassik in der Luft lagen. Das Kabul, das er nach Jahrzehnten wiederfand, war ein mit Autos und Autowracks verstopfter Moloch voller Ruinen und Armut und Staub und Gestank, der ihm die Luft zum Atmen nahm. »Das ist nicht mehr mein Kabul von damals«, sagte Safi. »Das kann ich nur in mir selber behalten.«

    Es klang wehmütig, aber er sagte Nein, dafür sei er zu alt. »Ich bin schon 57, da verlässt man ein bisschen die Ebene, wo man sentimental werden kann.« Das war mir neu, ich finde eher, je älter man wird, desto weiter geht der Blick zurück. Aber er sagte, er habe inzwischen ein Empfinden, das er früher nicht gekannt habe: »Auch die Welt ist mir schon zu klein, die Sterne eigentlich auch schon, alle Planeten und die Sonne, das ist sehr greifbar geworden. Die Gedanken gehen darüber hinaus, was mit den Galaxien ist und was mit dem Urknall war, und was war vor dem Urknall?« Die eigene Geschichte, die Vorgaben der Familie, die Tradition und Religion, all das sei lange sein Korsett gewesen, und nun sei es gelockert. »Man war eigentlich unbeweglich, und jetzt kommen ganz andere Möglichkeiten, die man auch noch leben und denken könnte«, sagte Safi. »Da befreit man sich von solchen Sentimentalitäten,
dass sich irgendetwas verändert hat. Im Vergleich dazu, dass da ganze Sterne verschwinden und neue dazu kommen, ist das nichts, absolut nichts.«

    Die Heimat als lieb teure Erinnerung und dann auf in ferne Welten, der Blick weit fürs Wesentliche? Vielleicht ist diese sehr philosophische Sicht der Dinge ein bisschen zu viel verlangt von uns Deutschen, mit unserer Geschichte, unserer Sehnsucht, unserer emotionalen Last. Wir leben in einem Heimat-Land. Die Bundeskanzlerin räsoniert darüber ebenso wie der Bundespräsident, der Bundestrainer, Ministerpräsidenten, Rundfunkintendanten, Schullehrer, Gemüsehändler, Steffi Graf und die Sportfreunde Stiller. Selbst der deutsche Papst, der den großen philosophischen Antworten doch eigentlich am nächsten sein sollte, bekennt träumerisch, »dass das Bayerische nicht aufhört, meine Heimat zu sein«. 278

    Das Thema wird uns so bald nicht verlassen. Heimat braucht jeder, damit können wir unseren Frieden machen.

    Verabschieden sollten wir uns dagegen von den Bedrohungsszenarien, den Blähgespensten, der ewigen Unterstellung, dass uns jemand die Heimat wegnimmt oder nicht gönnt
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