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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer
Autoren: Bruce Sterling
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nicht aber die verwirrende Intensität der Liebe zu ihrem Kind. Sie kannte diesen Menschen kaum, und doch liebte sie Chloe inniger, als sie sich hätte vorstellen können.
    Es fühlte sich nicht mehr an wie Mutterschaft. Die Mutterschaft war sehr real gewesen, sehr alltäglich, eine ursprüngliche menschliche Bindung, voller Hingabe und Mühe und Anstrengung, befrachtet mit bitterer Berechnung und dem intimen Aufeinanderprall unterschiedlicher Bestrebungen. Nun aber waren all diese Verwicklungen fortgeweht worden wie Sand. Die Anwesenheit dieser fremden Frau erfüllte sie mit ozeanischer Freude. Allein schon die Existenz Chloes war ein kosmischer Triumph. Es war, als wandelte sie auf den Spuren eines Boddhisattvas.
    »Du erinnerst dich doch hoffentlich noch an Suhaery?«, fragte Chloe. »Bestimmt erinnerst du dich noch, nicht wahr?«
    »Du siehst gut aus, Mia«, sagte Chloes Ehemann galant. Dieser Indonesier war jetzt seit über vierzig Jahren mit Chloe verheiratet. Das war mehr als doppelt so lange, wie Mia es mit ihrem Mann ausgehalten hatte. Mia hatte damals - sie spürte es noch immer, ein leise sich regendes altes Ressentiment - mit höflichem Entsetzen darauf reagiert, dass ihre Tochter mit einem Indonesier davonlief. Die Indonesier hatten die Seuchenjahre in ihrer riesigen Inselnation recht gut überstanden. Daraus hatten sie in den folgenden Jahrzehnten einen großen Vorteil geschlagen.
    Doch das war mittlerweile alles Vergangenheit. Jetzt waren Chloe und Suhaery ein Paar in den Sechzigern. Schlank und reich und vollkommen im Einklang miteinander. Sie kamen aus dem reichsten Land der Erde und machten den Eindruck, als seien sie sehr stolz darauf.
    »Wie habt ihr mich gefunden?«, fragte Maya.
    »Oh, das war furchtbar schwer, Mom. Wir haben es im Netz versucht, bei der Polizei, überall. Schließlich fiel uns ein, Mercedes zu fragen. Deine Haushälterin.«
    »Ja, Mercedes wusste bestimmt Bescheid.«
    »Sie hatte so ihre Vermutungen. Mercedes lässt dir ausrichten, es täte ihr Leid, dass sie so mit dir geschimpft hat. Sie hält deine Handlungsweise noch immer für völlig unmoralisch, aber so viele Leute haben sie um Interviews gebeten ... na ja, du weißt ja, wie das ist. Berühmt zu sein.«
    Maya zuckte die Achseln. »Ich fürchte, das weiß ich nicht. Wie steht es in letzter Zeit um meine Berühmtheit?«
    »Mom«, sagte Chloe seufzend, »diesmal hast du es wirklich geschafft. Nicht wahr? Ich wusste ja schon immer, dass die Fassade bei dir täuscht. Ich habe immer gemerkt, dass du dich verstellst. Ich wusste, dass du irgendwann die Bodenhaftung verlieren und abheben würdest. Das war dein Problem, Mom: du hast nie zu wahrer Spiritualität gefunden.«
    Maya musterte Suhaery. Der Mann ihrer Tochter war ein stämmiger, nüchterner asiatischer Geschäftsmann. Er stand da wie ein Fels in der Brandung und spielte die Rolle des psychischen Ankers. Suhaery spazierte in seinen sauberen, gebügelten Wandershorts in einem fremden Land am unkrautbestandenen Straßenrand entlang. Auf einmal wurde Maya bewusst, dass Suhaery dies alles äußerst komisch fand. Zumal die Verwandtschaftsverhältnisse seiner Frau amüsierten ihn. Und er hatte Recht.
    »Was hältst du von alledem, Harry?«, fragte sie.
    »Mia, du siehst wundervoll aus. Wie eine erblühende Rose. Du siehst aus wie Chloe an dem Tag, als ich sie kennen lernte.«
    »So etwas solltest du nicht sagen«, meinte Chloe tadelnd. »Das klingt auf mindestens fünf verschieden Arten falsch.«
    Suhaery machte eine durchtriebene Bemerkung auf malaiisch und kicherte herzhaft.
    »Wir haben in San Francisco nach dir gesucht«, sagte Chloe, »aber in der Klinik war man nicht besonders entgegenkommend.«
    »Ja ... äh ... in der Klinik ist man wohl nicht so gut auf mich zu sprechen.«
    »Es wäre klüger gewesen, du hättest dich wieder in medizinische Überwachung begeben, Mom. Ich meine, als medizinisches Studienobjekt hast du deinen Wert wohl verscherzt. Aber trotzdem.«
    »Ich habe es ernsthaft erwogen«, sagte Maya. »Ich meine, wenn ich zu diesen Rindviechern zurückgelaufen wäre und mich erniedrigt und unter medizinisch definierten Bedingungen gelebt hätte, wäre mein Behandlungsbudget wohl wieder ins Lot gekommen, aber weißt du was? Ich konnte nichts mehr mit ihnen anfangen. Das sind Bourgeois, das sind Philister. Die ertrage ich nicht mehr. Ich mache ihnen keine Vorwürfe, aber ... na ja ... ich bin jetzt beschäftigt. Ich hab was Besseres zu tun.«
    »Und das
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