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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer
Autoren: Bruce Sterling
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amüsieren. Ist das fair? Es ist ein Wunder, dass wir eine gerechte Gesellschaft aufgebaut haben, in der die Reichen und Mächtigen nicht auf dem Leben anderer Menschen herumtrampeln und es ihnen rauben.«
    »Ja, dafür habe auch ich gestimmt«, sagte Maya.
    »Diese Kinder halten die Welt, die wir aufgebaut haben, für selbstverständlich. Sie halten sich für unsterblich. Vielleicht sind sie das ja, aber sie glauben, sie hätten die Unsterblichkeit verdient. Sie glauben, die Verlängerung der Lebensspanne sei ein mystischer technischer Impuls. Das stimmt nicht. Da ist nichts Mystisches dabei. Reale Menschen arbeiten sehr hart für diesen Fortschritt. Menschen reißen sich entzwei und geben ihr Bestes, um den Tod weiter hinauszuschieben. Sie sind keine Künstlerin, aber wenigstens haben Sie der Gesellschaft einmal genützt. Jetzt schaden Sie ihr aktiv.«
    »Die haben Ihnen wirklich weh getan, nicht wahr?«
    »Ja, sie haben richtigen Schaden angerichtet.«
    »Es freut mich, dass sie Ihnen weh getan haben.«
    »Es freut mich, dass Sie das sagen«, meinte Helene aufgeräumt. »Ich dachte, Sie wären verrückt, Ihr moralisches Urteilsvermögen wäre eingeschränkt. Jetzt sehe ich, dass Sie vorsätzlich boshaft sind.«
    »Was haben Sie mit mir vor? Sie können mich nicht wieder zu Mia machen.«
    »Nein, das kann ich nicht. Ich wünschte, ich könnte es, aber dafür ist es zu spät. Ein gescheitertes Experiment lässt sich nicht rückgängig machen. Experimente scheitern bisweilen, sowas kommt vor, das liegt in der Natur der Sache. Aber wir können die Fehler beheben; und wir können versuchen, in Zukunft produktiver zu sein.«
    »Aha.«
    »Sie sind Medizinökonomin. Sie haben solche Entwicklungen früher selbst bewertet. Nicht wahr? Wie würden Sie eine Behandlung bewerten, die Betrügereien und Verrückte hervorbringt?«
    »Helene, wollen Sie damit sagen, die anderen NTDZ-Patienten hätten sich ebenso merkwürdig verhalten wie ich?«
    »Nein, keineswegs. Über die Hälfte waren Musterpatienten. Diese Leute tun mir wahrhaft Leid. Sie haben sich der Behandlung in gutem Glauben unterzogen und sind ihren gesellschaftlichen Pflichten nachgekommen, und jetzt sind sie gestrandet. In einer toten lebensverlängernden Entwicklungslinie gefangen. Und das alles wegen einer rücksichtslosen Unzufriedenen.«
    »Das sind ja wundervolle Neuigkeiten.« Maya lachte. »Das macht mich richtig glücklich! Es tut gut zu wissen, dass ich Brüder und Schwestern habe ... Und Sie haben mir die Fotos zurückgegeben! Die Fotos sind schlecht, aber zumindest ein untrüglicher Beweis dafür, dass ich nicht Mia bin.«
    »Die Fotos beweisen gar nichts.«
    »Doch. Na ja, sie werden es. Ich werde beweisen, dass ich jetzt besser bin. Ich werde beweisen, dass ich besser als Mia bin. Nur zu, verweigern Sie mir künftige Behandlungen. Ich werde meinen Wert unter Beweis stellen. Ich werde euch zu dem Eingeständnis zwingen. Ich bin viel mehr wert als lausige hunderttausend Dollar.«
    »Mir werden Sie gar nichts beweisen.«
    »Warten wir’s ab. Was wissen Sie schon? Sie sind reich und berühmt, viele Männer haben Sie angebetet, und Sie sind eine der bedeutendsten Kunstsammlerinnen des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Toll, aber was beweist das? Verraten Sie mir Ihren Lieblingsfotografen.«
    »Da muss ich überlegen.« Helene dachte nach. »Helmut Weisgerber.«
    »Was, der Typ, der die arktischen Landschaften fotografiert hat? Der Bergsteiger? Sie mögen Weisgerber?«
    »Ich habe ihn so sehr gemocht, dass ich ihn geheiratet habe.«
    »Finden Sie wirklich, dass Weisgerber besser als Capasso ist? Eric Capasso war so sinnlich und lebendig. Capasso war bestimmt sehr unterhaltsam.«
    »Capasso war hochbegabt, aber melodramatisch. Tief im Innern war er Bühnenbildner. Weisgerber hingegen - an den klassischen Weisgerber reicht niemand heran.«
    »Ich muss zugeben, dass ich Weisgerbers Laub-Serie sehr mag.«
    »Die habe ich damals in Auftrag gegeben.«
    »Wirklich, Helene? Das muss toll gewesen sein ...«
    An der Tür wurde zaghaft geklopft.
    »Ich habe Mineralka bestellt«, erklärte Helene. »Die Bedienung lässt hier auf sich warten.« Sie hob die Stimme. »Entrez.«
    Die Tür ging auf. Es war Brett.
    »Komm rein, Brett. Wir haben soeben über Ästhetik geplaudert.«
    Brett stellte ihren Rucksack auf den Boden.
    »Brett, das ist Helene. Helene, Brett. Ich meine, Natalie. Tut mir Leid.«
    »Unbefugten ist der Zutritt nicht gestattet«, sagte Helene, sich erhebend.
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