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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer
Autoren: Bruce Sterling
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her?«
    »Für mich schon.«
    »Du siehst besser aus als Chloe. Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, hätte ich dich für Chloe gehalten.«
    »Für mich bist du immer noch Daniel«, gestand sie. »Ich weiß nicht, warum.«
    Daniel schwieg. Er trat in die Hütte.
    Sie folgte ihm in seine einfache Behausung. Ausgekleidet war sie mit Daunen und Zweigen, trockenem Laub und etwa acht Billionen Gigabyte an pilzartig verwobenen Informationen. Er hatte hier in Idaho Wurzeln geschlagen. Er hatte sich tief in die Landschaft von Idaho integriert. Er hatte sich in einen Genius loci, einen Schutzgeist verwandelt. Jeder Baum, jeder Busch, jede Blume, jede Raupe verfügte über eingebaute Lautsprecher und Mikrofone. Er wachte nicht nur über diesen Ort - in einem tieferen Sinn war er identisch mit ihm. Er war ein kleiner Teil von Idaho geworden. Wenn es kalt wurde, fiel er in Winterschlaf.
    »Möchtest du Wasser?«, krächzte Daniel.
    »Nein, danke.«
    Daniel trank gesammelten Tau aus einer blätterförmigen Tasse.
    »Was gibt’s Neues, Daniel?«
    »Neues«, wiederholte Daniel nachdenklich. »Ach, es gibt immer etwas Neues. Die beschäftigen sich gerade mit dem Himmel, heißt es. Reinigen ihn. Mit Sporen.«
    »Sporen«, sagte sie.
    Er trank noch einen Schluck Wasser, fuhr sich über die mit erstaunlichen Runzeln bedeckte Stirn und sammelte sich. »Ja, der Himmel wird eine Zeit lang pilzfarben sein. Dürfte zu interessanten Sonnenuntergängen führen. Atmosphärische Reparaturtechniken. Sehr nützlich. Sehr weitblickend, sehr weise. Gutes Haushalten.« Daniel war bemüht, sich verständlich auszudrücken. Sie waren beide Zweifüßer, die unter dem Himmel wandelten und in der Tagwelt lebten. Das immerhin hatten sie gemeinsam.
    »Ich kann einfach nicht glauben, dass die Politas den Himmel tatsächlich mit Pilzsporen impfen will. Ich hätte nicht gedacht, dass die Politas noch so viel Phantasie besitzt.«
    »Sie hat wirklich keine Phantasie, aber das war nicht ihre Idee. Zuvor wurde der Himmel von anderen Leuten verschmutzt. Das ist jetzt die Reaktion darauf. Neue Monster gegen alte Monstrosität. Wir sind Göttern gleich, Mia. Vielleicht liegt uns diese Rolle sogar.«
    »Bist du ein Monster, Daniel? Wer hat dir gesagt, du wärst ein Gott?«
    »Was glaubst du?«
    Er wandte ihr seinen massigen Rücken zu, ging ins Freie und machte sich wieder an die Arbeit. Ja, er ist ein Gott, dachte Maya. Damals, als sie noch zusammenlebten, war er noch kein Gott gewesen. Er war ihr Mann gewesen, ein guter Mann. Jetzt war er kein Mann mehr. Daniel war ein primitiver Gott. Ein primitiver Dampfmaschinengott. Ein Amphibiengott, der pflichtbewusst den Boden für eine zukünftige Reptilienrasse bereitete. Ein sehr untergeordneter Gott, vielleicht eine Art Gartengnom, eine Dryade, ein Kobold aus der Tiefe. Er hatte mit der verfügbaren Technik sein Bestes getan, aber die verfügbare Technik reichte einfach nicht aus. Maschinen flitzten durchs Gewebe des Universums hindurch wie ein Anfall durch das Gehirn eines Gottes, und in ihrem Gefolge hörten die Menschen auf, Menschen zu sein. Dennoch gaben die Menschen nicht auf.
    »Ich muss dich fotografieren, Daniel«, sagte sie. »Stell dich mal in die Sonne.«
    Ihm machte es anscheinend nichts aus. Sie hob die neue Kamera ans Auge. Sie betrachtete ihn durch den Sucher. Auf einmal wusste sie, dass es so richtig war. Das würde ihr erstes gutes Foto werden. Dies sah sie an seiner Schulterhaltung und an seiner erstaunlichen Gesichtslandschaft. Eine lebendige Seele, entblößt weit über das notwendige Maß hinaus. Sie verstand Daniel und sich selbst und die sich drehende Welt. Ihr erstes wahres Foto. So wirklich und schön.
    Der Auslöser klickte.
     
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