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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer
Autoren: Bruce Sterling
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wäre?«
    »Ich laufe in der Gegend herum. Erde, Himmel, Sterne, Sonne. Du weißt schon.«
    »Du willst mich wohl verarschen?«
    »Na ja, ich fotografiere ... Die Amischen, die geben hervorragendes Material ab, und sie sind so gut vor der Kamera ... Ich meine, ihre Kinder sehen wie normale Kinder aus, man mag es kaum glauben, sie sind normale Kinder, aber man kann ihre Entwicklung Jahrzehnt für Jahrzehnt nachverfolgen. Amische um die siebzig ... Der natürliche Alterungsprozess ... Das ist erstaunlich und grauenerregend! Und doch hat es auch eine seltsame organische Qualität ... Die Amischen sind wundervolle Menschen. Ihren Maßstäben zufolge bin ich ein unglaubliches Monstrum, aber sie sind so nett und freundlich zu mir. Sie finden sich einfach mit uns posthumanen Existenzen ab. Als täten sie uns einen Gefallen.«
    Chloe dachte darüber nach. »Was machst du eigentlich mit all den Fotos von den Amischen?«
    »Nicht viel. Meine Fotos sind mies. Ich bin ein lausiger Fotografenlehrling und habe eine lausige Kamera. Aber das ist schon okay; ich brauche eine Menge Übung. Zumal was den Bildausschnitt angeht ...«
    Suhaery und Chloe wechselten Blicke. Dann sagte Chloe: »Mom, Harry und ich finden, du solltest für eine Weile zu uns nach Djakarta kommen.«
    »Was, um Himmels willen, sollte ich dort anfangen?«
    »In unserer Wohnung ist jede Menge Platz, und in Asien ist es leichter. Die Leute sind verständnisvoller.«
    »Wenn du dich doch bloß nach Indonesien abgesetzt hättest«, meinte Suhaery nachsichtig. »In Europa sind alle verrückt. Man hat dort keinen Sinn für Muße, nicht einmal die Reichen. Mit den Europäern stimmt irgendetwas Grundlegendes nicht. Sie verstehen einfach nicht zu leben.«
    »Möchtest du wirklich, dass deine verschrobene Schwiegermutter unter deinem Dach wohnt, Harry?«
    »Du bist ein harmloses kleines Geschöpf«, sagte Suhaery freundlich. »Ich habe dich von Anfang an gemocht, Mia, auch damals schon, als du noch Angst vor mir hattest.«
    »Also, das kann ich nicht. Kommt gar nicht infrage. Tut mir Leid.«
    »Mom, du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert. Lass uns das übernehmen. Du hast es nämlich verdient. Du hast viel für mich geopfert. Jahre deines Lebens.«
    »Vergiss es.«
    Chloe seufzte. »Mom, du wirst bald hundert. Und man hat dir die medizinische Behandlung gestrichen!«
    »Mache ich etwa einen hinfälligen Eindruck? Ich gehe gut und gerne als zwanzig durch. Klar, wenn ich ins Labor zurückginge und alle abküsste, könnte ich noch länger leben, aber mir geht’s gut, ich mache keine Dummheiten. Ich ernähre mich richtig, ich schlafe wie ein Murmeltier, und ich habe viel Bewegung. Guck dir mal meine Beine an. Schau sie dir an! Ich könnte ein Loch in die Scheunenwand dort drüben treten.«
    »Mom, sei still und hör mir mal zu. Du lebst wie eine Pennerin, wie ein Tramp. Kapiert? Du verhältst dich seltsam, unverantwortlich. Die anderen Leute, die sich dieser Behandlung unterzogen haben, verhalten sich alle ziemlich eigenartig. Ich glaube, ihr habt einen wohlbegründeten Rechtsanspruch. Ihr solltet für eure Rechte als missbrauchte Patienten eintreten. Ihr solltet den Rechtsweg beschreiten. Für das, was euch angetan wurde, tragt ihr keine Verantwortung. Ihr solltet euch organisieren.«
    »Liebling, wenn wir uns organisieren könnten, könnte man wohl kaum von auffälligem Verhalten sprechen.«
    »Ihr solltet miteinander reden. Euch übers Netz miteinander in Verbindung setzen.«
    »Ich habe keinen Netzzugang. Und die anderen bestimmt auch nicht.«
    »Warum nicht, Mom? Du hättest uns anrufen sollen. Harry und ich waren ganz krank vor Sorge um dich. Nicht wahr, Harry?«
    »Das stimmt, Mia«, sagte Suhaery loyal. »Wir machen uns Sorgen.«
    Chloe holte tief Luft. »Ich sehe, dass du kein Mensch mehr bist, und ich akzeptiere es. Das ist in Ordnung, sowas kommt vor. Aber du bist meine Mutter. Du kannst nicht einfach davonlaufen und uns das antun. Das ist unverantwortlich.«
    »Dein Vater hat das gleiche getan.«
    »Nein, das stimmt nicht. Dad hat dich verlassen, nicht mich. Er redet mit mir, wann immer ich mit ihm reden möchte. Und ich weiß wenigstens, wo er ist. Wo du bist, weiß ich in letzter Zeit nicht. Das weiß niemand. Weißt du, wie lange wir hier in der Gegend nach dir gesucht haben?«
    »Nein. Wie lange?«
    »Ziemlich lange«, meinte Suhaery lächelnd. »Vielleicht zu lange. Deine Tochter und ich sind sehr geduldige Menschen.«
    »Kannst du uns nicht
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