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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer
Autoren: Bruce Sterling
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gelangen.«
    »Sie glauben, das könnte funktionieren?«
    »Vielleicht. Sie könnten auch die Brille ausprobieren, wenn Sie mehr verlangen ...« Stuart legte eine bedeutsame Pause ein. »Ich spreche von Diskretion.«
    »Berechnen Sie mehr für Diskretion, Mr. Stuart? An Diskretion ist mir sehr gelegen.«
    »Ich berechne bloß den Eintritt«, antwortete Stuart. »Den meisten Leuten reicht das schon.« Irgendjemand rief eine lange Frage von den neuen Geräten an der Westseite des Gebäudes herüber - irgendetwas mit ›Baumnamen‹ und ›Entrauschung‹.
    Stuarts Kopf ruckte auf dem ledrigen Hals herum wie der einer Eule. »Lies das Handbuch!«, brüllte er und wandte sich wieder Mia zu. »Kinder ... Wo waren wir noch gleich stehengeblieben, Ma’am?«
    »Mia.«
    »Was?«
    »Hier ist kein Handbuch!«, schrie der Junge zurück.
    »Mia, M-I-A«, wiederholte Mia geduldig.
    »Oh«, machte Stuart und tippte sich ans Hörgerät. »Schön, dass Sie gekommen sind, Maya. Stören Sie sich nicht an den Kindern, die sind halt manchmal etwas rüpelhaft.«
    »Ich würde es gern mal mit dem Vorhanggerät und dem Pad probieren.«
    »Ich weise Sie ein«, sagte Stuart.
    Diskretion war der einzige Vorteil veralteter Hardware. Veraltete Hardware entzog sich weitgehend der Überwachung. Die modernen Cyberstandards waren viel übersichtlicher, stabiler und verständlicher als der primitive, überholte, häufig auch gefährliche Schrott vom Anfang des Jahrhunderts. Moderne Datenarchive waren erstaunlich freizügig, zugänglich und offen. Doch es gab hunderte veralteter Formate und gewaltige Mengen von Datenmüll, die allein Geräten zugänglich waren, die nicht mehr hergestellt oder gewartet wurden. Derlei Geräte konnten nur von fanatischen Bastlern genutzt werden - oder von Menschen, die so alt waren, dass sie vor Jahrzehnten den Umgang mit ihnen erlernt und seitdem nichts vergessen hatten.
    Stuart reichte Mia ein arg mitgenommenes Touchpad und eine Cyberschatulle. Mia zog sich in das Bad mit den auf Sockeln ruhenden Waschbecken zurück und wusch sich vor dem Spiegel die Hände.
    Sie klappte die Schatulle auf, nahm die beiden federleichten Ohrhörer heraus und klemmte sie sich an die Ohrläppchen. Das Schönheitsfleckmikrofon pappte sie sich auf die Oberlippe. Sorgfältig klebte sie die falschen Wimpern an. Sie würden die Form ihres Augapfels und damit ihre Blickrichtung überwachen.
    Mia öffnete den Deckel des Behälters mit der Handschuhemulsion, tauchte beide Hände bis zu den Handgelenken in das warme Plastik, zog sie heraus und wedelte damit umher, bis der Plastiküberzug abgekühlt und getrocknet war.
    Die Handschuhe knisterten beim Trocknen. Mia bewegte die Finger, dann ballte sie rhythmisch die Fäuste. Die Plastikhaut zersplitterte wie trocknender Schlamm in zahllose winzige Plättchen. Anschließend tauchte sie die Hände in einen zweiten Behälter, zog sie wieder heraus. Dünne Adern aus feucht glitzerndem organischem Leitermaterial trockneten rasch in den Rissen.
    Als die Handschuhe fertig waren, nahm Mia einen Armfächer aus einem Fach unter dem Waschbecken. Sie schlug sich den Fächer gegen den Unterarm, um ihn zu aktivieren, dann legte sie ihn sich ums linke Handgelenk und drückte ihn zu. Das regenbogenfarbene Gewebe versteifte sich, wie es sein sollte. Als sie den zweiten Armfächer angelegt hatte, standen von ihren Unterarmen zwei Sichtmembranen von der Größe eines Esstellers ab.
    Die Plastikhandschuhe erwachten zum Leben, als das Leitermaterial mit den Unterseiten der Armfächer Kontakt bekam. Die Armfächer vermaßen im Handumdrehen die Form der Handschuhe, machten sich mit ihrer Größe, Form und den Bewegungen ihrer Hände vertraut.
    Die Fächer wurden undurchsichtig. Sie konnte ihre Hände nicht mehr sehen. Gleich darauf tauchte das Bild ihrer Hände wieder auf, als Projektion auf der Außenfläche der Armfächer. Die Realität verschwand am Außenrand der Fächer, und Mia sah nur mehr die virtuellen Abbilder ihrer beiden Hände vor sich, die in zwei Kreise aus blauer Leere hineinreichten.
    Mia klemmte sich das Touchpad unter den Arm, verließ das Bad und ging zu dem Vorhanggerät, das sie sich ausgesucht hatte. Sie trat hinein und schloss hinter sich den Vorhang. Der Stoff erbebte von oben bis unten und versteifte sich, als sich das Gerät einschaltete. Das steife Vorhanggewebe nahm eine einheitlich blaue Farbe an. Ein weiterer großer Teil der Realität verschwand, und Mia stand nun inmitten eines himmelblauen
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