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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer
Autoren: Bruce Sterling
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Warshaws Bestattung. Martin Warshaw war Daniels einziger ernst zu nehmender Rivale gewesen. Hätte er einen Rest von männlicher Eifersucht empfunden, einen Anflug von Genugtuung? Mia hätte gern gewusst, ob ihr Exmann noch an sie dachte - oder ob er überhaupt jemals über irgendetwas eingehender nachgedacht hatte. Daniel lebte an einem sehr abgeschiedenen Ort im Norden Idahos, wo er kaum zu erreichen war. Mia hätte ihre Tochter Chloe in Djakarta anrufen können, doch davon versprach sie sich nichts. Chloe würde bloß an ihrem Batikhemd zupfen und über das sich drehende Rad und spirituelle Authentizität daherfaseln.
    Ein langer Spaziergang zum Fisherman’s Wharf - Mia hatte es geschafft, den ganzen Tag über nicht an Arbeit zu denken, und das war neu für sie und gewissermaßen ein großer Fortschritt -, dann gelangte sie an ihr Ziel, ein metallverkleidetes zweistöckiges Reihenhaus. Ein verwittertes Rotholzschild in einer unkrautüberwucherten Hecke machte das Gebäude als kommerzielle Netsite kenntlich. Mia entrichtete das Eintrittsgeld und steckte im Innern des höhlenartigen Gebäudes eine Geldkarte in eine Uhr.
    Der Besitzer kam herbeigeschlendert. Er war ein schlaksiger älterer Herr, weit über fünfzig, mit langen Gliedmaßen und einer scharfen Hakennase, zwei übergroßen und offenbar höchst wirksamen Hörgeräten und einer zerknautschten Fischermütze. Die Fischermütze war eine Affektiertheit, denn Mr. Stuarts schuppige, welke Haut war seit Jahrzehnten nicht mehr für längere Zeit dem Tageslicht ausgesetzt gewesen. Er trug ein kurzärmliges kotzgrünes Hemd und eine ölverschmierte Hose, an deren Gürtel mit kleinen Kettchen allerlei Vielzweckwerkzeuge befestigt waren.
    Mia hatte diese Netsite seit siebenunddreißig Jahren nicht mehr besucht. Das Reihenhaus war radikal umgebaut worden; man hatte Böden und Wände herausgerissen, Fenster zugemauert und die Außenwände zum Schutz vor Streustrahlung mit Kupfer verkleidet. Mia wunderte sich, dass der Besitzer noch der alte war, dass er immer noch unter der alten Adresse zu finden war und anscheinend auch noch dieselbe Kleidung trug wie früher. Mr. Stuart war die Art Mann, der ein Haus mühelos überlebte.
    Stuart wirkte kaum verändert, wenngleich seine Nase und seine Ohren in den vergangenen Jahrzehnten merklich angeschwollen waren. Wachstumshormone und Steroidbehandlungen gehörten zu den vernünftigeren und erschwinglicheren lebensverlängernden Strategien. Bei Männern vergrößerten sich dabei Nasen und Ohren, was etwas mit männlichen Steroiden und fortschreitender Verknöcherung des Knorpelgewebes zu tun hatte.
    Mia schaute sich um. Graue Schallschluckplatten hingen von der Decke, darüber sah man ein buntes Gewirr von Stromkabeln und Glasfaserleitungen. Auf den metallenen Dachträgern wimmelte es von zwitschernden Sperlingen.
    Auf dem Boden war eine seltsame Kollektion von Zugangsgeräten versammelt. An der Westseite von Stuarts Schuppen standen nagelneue Netzgeräte, von denen viele den verwirrenden Eindruck von Prototypen machten. Die Ostseite war vollgestopft mit Sammlerstücken, ausgewählte Relikte der hundertzwanzigjährigen Geschichte des Cyberspace. Mr. Stuart hatte sich schon immer gern mit Medien befasst, die entweder ausstarben oder gerade in der Entwicklung begriffen waren.
    An den Wänden waren Kisten und Kübel mit Elektronikteilen gestapelt. Stuarts quietschender Reinigungsautomat schlich umher und staubte sorgfältig die anderen Geräte ab. Für die
    Hinterlassenschaften der zahmen Vögel gab es einen Sandkasten. Die Beleuchtung war wie früher schrecklich düster.
    »Ich dachte, Sie wollten Fenster einbauen«, sagte Mia.
    »Demnächst«, antwortete Stuart und kniff die Augen zusammen. »Aber wer braucht eigentlich Fenster? Eine Netsite ist ein Fenster.«
    »Haben Sie hier etwas, das mit einer Passgeste klarkommt und mich in einen Erinnerungspalast aus den Sechzigern hineinbringen kann?«
    »Das hängt vom Setup ab, aber das gilt für das ganze Leben«, antwortete Stuart. Stuart hatte eine ausgeprägte Vorliebe für Aphorismen. »Beschreiben Sie mir die Initialisierungsparameter und die Hardware, auf der er läuft.«
    »Darüber kann ich Ihnen nichts sagen.«
    Stuart hob die Schultern wie ein Gnom. »Dann könnte es länger dauern. Wenn Sie einen Rat wollen: Versuchen Sie es erst mal auf die einfache Art. Schließen Sie ein Touchpad an eines der Geräte mit den Vorhängen an und schauen Sie, ob Sie in den Palast hinein
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