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Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Titel: Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
Autoren: Stefan;Weiss Bonner
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zeitgenössisches Entertainment könnte in der Tat nicht schaden. Im kölschen Weltkulturerbe ist es an diesem Morgen nämlich ziemlich kalt und ungemütlich. Für Stimmung sorgen lediglich der Organist samt Mädchenchor, die inbrünstig »Mir nach, spricht Christus, unser Held« spielen. Die Holzbänke sind hart und für Leute mit fortgeschrittener Körpergröße zudem verdammt eng. Vielleicht ist das sogar Absicht: Mit angewinkelten Beinen und krummem Rücken sitzt man automatisch in bußfertiger Position, während eine schier endlose Prozession von Priestern nebst Fußvolk um einen herum Richtung Altar schleicht. Einer von ihnen trägt die Bibel mit hochgestreckten Armen vor sich her, wie einst Rudi Völler die Weltmeisterschale. Der opulente Aufmarsch erinnert mit seinem Pathos an eine große Heldensaga – ein bisschen wie am Ende von Star Wars Episode IV , wenn Luke, Han Solo und Chewbacca, untermalt von orchestraler Musik, in den Tempel einziehen und einen Orden dafür erhalten, dass sie gerade den Todesstern geschrottet haben.
    Durch die Kulisse des jahrhundertealten Bauwerks wirkt die Zeremonie reichlich retro. Ein wenig so, als wäre man mitten in eine Szene aus Die Säulen der Erde oder Der Name der Rose hineingeplatzt.
    Nachdem wir jahrelang den Gottesdienst geschwänzt haben, wollten wir uns aus nächster Nähe davon überzeugen, was Kirche heute wirklich zu bieten hat, und die Sonntagsmesse in Deutschlands prominentester katholischer Dauerbaustelle erschien uns dafür eine gute Adresse. Üblicherweise werben die Filialen der christlichen Franchisingkette mit Gemeinschaftsgefühl, Gott, Sozialem und einer frohen Botschaft. Wir hoffen, möglichst reichlich davon vorzufinden.
    Glauben ist eine ernste Angelegenheit. Daran lässt der dramatische Auftakt der Messe keinen Zweifel. Im düsteren Mittelalter müssen unsere Vorfahren bei einer solchen Szenerie ganz schön Muffensausen bekommen haben, vor allem, wenn der Pastor vom Teufel und von der Hölle sprach. Heute erinnern die Kostümierungen aus langen Roben und hohen Hüten eher an eine Karnevalsprozession.
    Der Zelebrant, Domkapitular Josef Sauerborn, beginnt mit getragener Stimme zu sprechen. »Ich bekenne Gott dem Allmächtigen und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt, in Gedanken, Worten und Werken. Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.« Welche Schuld? Wir sind uns keiner Schuld bewusst. Herr Sauerborn hingegen scheint ja ordentlich was auf dem Kerbholz zu haben.
    Als Nächstes tritt ein Mann in Weiß vor, den man nicht genau erkennen kann, weil er so weit weg ist. Der Kölner Dom ist wirklich eine große Kapelle. Der Mann liest uns aus dem Buch Sacharja vor: »Doch über das Haus David und über die Einwohner Jerusalems werde ich den Geist des Mitleids und des Gebets ausgießen ... An jenem Tag wird die Totenklage in Jerusalem so laut sein wie die Klage um Hadad-Rimmon in der Ebene von Megiddo.« Wir sind uns ziemlich sicher: Wer nicht bibelfest ist, kennt einen Hadad höchstens von der Dönerbude, und wo Megiddo liegt, weiß ohne Google-Maps auch keiner.
    Wir singen alle zusammen ein Liedchen. Dann besteigt der Domkapitular die Kanzel, es ist Zeit für die Predigt. »Liebe Schwestern, liebe Brüder hier im Dom und am Domradio und liebe Zuschauer des center.tv«, beginnt er die Rede. Dann spricht er von der Globalisierung, dem »weltweiten Gewebe der Abhängigkeiten«, und stellt fest, dass alles unsicher sei und die Zeiten vorbei, als man noch das Gefühl hatte, dass man sich auskannte und wusste, wie die Dinge zusammenhängen. Schön, dass die Kirche das Thema für sich entdeckt hat. Wir fragen uns aber, ob er mit diesem Schreckensbild eine globalisierungsgewöhnte Generation erreichen kann, die ihre Freunde auf der anderen Seite der Erde über Facebook anstupst, in Südostasien hergestellte Turnschuhe kauft, im Winter selbstverständlich Südfrüchte im Supermarkt erwartet und für die Karriere von München nach Hongkong oder New York zieht.
    Herr Sauerborn spricht langsam, schön deutlich und wohl akzentuiert, ein bisschen so, als säßen hier nur Schwerhörige und Schnellmerker. In gemessenem Ton führt er aus, dass der Glaube keine »irrationale Grundbefindlichkeit« sei, auch wenn die Dreifaltigkeit eine »geheimnistiefe Wirklichkeit« besitze, die man aber darlegen und begründen könne. Der Glaube an Jesus Christus gehe eben nicht in dem
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