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Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Titel: Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
Autoren: Stefan;Weiss Bonner
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bisschen. »Mama?«, ruft sie. »Kann ich einen Traubensaft?« Meine Gemeinde springt auf und rennt in die Küche.
    Amen, denke ich. So schnell läuft einem das Kirchenvolk davon. Erst noch fromm tun und dann Traubensaft saufen. Aber daran muss ich mich wohl gewöhnen. Ich träume nämlich davon, Päpstin zu werden, oder zumindest Bischöfin. Dass in diesem Beruf die Frauenquote fast schon im negativen Bereich liegt, darauf wäre ich zu diesem Zeitpunkt im Leben nicht gekommen. Ich bleibe den Katholiken daher treu, in der Hoffnung, irgendwann tatsächlich in die Führungsetage aufzurücken – und auch deswegen, weil ich schlicht und ergreifend keine Ahnung habe, dass man grundsätzlich aus dem Verein auch austreten kann.
    Mein Hang zum Christentum basiert in diesem Alter auf Unwissenheit. Lange habe ich noch an den Osterhasen geglaubt, und zwar allein deswegen, weil meine Mutter im Garten vor uns herläuft, Schokoeier auf den Rasen fallen lässt und ruft: »Guckt mal! Was ist denn das?« Vom Weihnachtsmann will ich gar nicht erst anfangen. Es ergeht mir eben auch nicht anders als allen anderen Kindern: Wir glauben gerne alles, was die Erwachsenen uns erzählen, und für die ist es wiederum ganz praktisch, dass sie uns mit der biblischen Geschichte viele Dinge auf einfache Art erklären können, für die uns der größere Zusammenhang fehlt. Egal ob es nun um die Herstellung des kleinen Geschwisterchens geht oder um die Frage, was Oma eigentlich nach dem Umzug in die Kiste sechs Fuß unter der Erde so treibt.
    Glauben ist in der Kindheit oft nicht mehr als das einfache Vorenthalten von Fakten. Ich halte es daher auch lange Zeit für einen gebräuchlichen Ritus unter allen Menschen auf der Welt, dass man sich zu Weihnachten ein Sofakissen unter den Pulli steckt und singend durchs Haus zieht, um die Geschichte von Maria und Josef nachzuspielen. Auch die Heilige Erstkommunion erscheint mir tatsächlich heilig, und dass, obwohl ich gar nicht genau verstehe, aus welchem Anlass man sich da eigentlich einen weißen Fummel anzieht und einen Stoffblütenkranz ins Haar hängt. Ich betrachte es einfach als einen weiteren Schritt meiner Karriere in der katholischen Kirche, den zweiten nach der Taufe. Daher erhebe ich auch keinen Einspruch, als meine Eltern mich für den Kommunionsunterricht anmelden.
    Die Wochen vergehen, und mit rasanten Schritten geht es auf das frohe Ereignis zu. Kommunionskerzen werden gespitzt, Kleider gekauft und Einladungen an die Verwandten verschickt. Der Kommunionsunterricht besteht größtenteils aus dem Ausmalen von vorgezeichneten Bildchen, fantastischen Geschichten über Männer, die in Fischbäuchen überleben, und nachgespielten Szenen von Bibelmotiven. Im Grunde ganz ähnlich, wie wenn Mama aus dem Märchenbuch vorliest.
    Am Tag vor der Feier sollen wir die Beichte ablegen. Die Nacht zuvor liege ich grübelnd wach. Mir will partout kein elegantes Vergehen einfallen, das mich nicht so dämlich aussehen lässt. Jetzt heißt es Top oder Flop: Wenn ich diese Hürde meistere, dann ist der erste Grundstein für mein Amt als katholische Würdenträgerin gelegt.
    »Und, was hast du dir überlegt?«, fragt die Kommunionsbetreuerin Esther mich, bevor wir in Richtung Beichtstuhl aufbrechen.
    »Weiß nicht«, sage ich. »Was beichtet man denn am besten?«
    »Na, überleg doch mal«, ermuntert Esther mich. »Muss ja auch nix Großes sein.«
    Ich überlege.
    »Dann geb ich dir jetzt mal drei Sünden zur Auswahl«, leistet mir Esther Schützenhilfe. »Du hast doch deiner Schwester bestimmt schon mal ein Spielzeug weggenommen. Oder du könntest sagen, dass du was aus dem Süßigkeitenschrank deiner Mama genommen hast. Oder du hast bei der Schularbeit gespickt.«
    Du meine Güte. Gleich drei öde Dinge auf einmal. Wer in der katholischen Kirche Karriere machen will, muss bestimmt von Anfang an Eindruck schinden, am besten mit einem richtig originellen Beichtgeständnis, davon bin ich überzeugt. Ich muss also groß denken.
    Den Beichtstuhl zu betreten kommt mir vor wie an der Tafel vorrechnen. Ich bin nervös, als ich den schwarzen Vorhang beiseiteschiebe und mich auf das Holzbänkchen in der engen Kabine quetsche.
    »Hast du gesündigt, mein Kind?«, erkundigt sich der Pastor erwartungsvoll durch das vergitterte Fensterchen.
    Meine Hände sind ganz schwitzig. Jetzt bloß keinen Fehler machen.
    »Ja, ich glaube, schon«, raune ich zurück.
    »Du kannst dich dem Herrn anvertrauen.«
    »Also ...« Meine Kehle ist
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