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Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Titel: Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
Autoren: Stefan;Weiss Bonner
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Backsteinbau der evangelischen Kirche macht im Nieselregen einen wenig einladenden Eindruck, als wir zum Taufgottesdienst erscheinen. Natty trägt zur Feier des Tages einen Ausschnitt bis zum Bauchnabel. Dass die versammelten Großmütter das für unangebracht halten, ist ihr egal: »Ich lass mir von den verklemmten Betschwestern doch nicht vorschreiben, was ich anziehe!« Aus ähnlicher Gemütslage heraus haben die beiden darauf verzichtet, bei ihrer Hochzeit Gottes Segen einzuholen. Das allerdings haben die Leute von der Kirche bei der Anmeldung zur Taufe zwecks Nachwuchsförderung gnädig unter den Tisch fallen lassen, genauso wie die Tatsache, dass Natty evangelisch, Manni aber katholisch ist. Wo da eigentlich der Unterschied liegt, wissen sie beide nicht. Als Manni bei der Vorbesprechung des christlichen Stapellaufs feststellte, dass das Baby quasi »ökomenisch«, wie er es nennt, gezeugt worden sei, verdrehte der Pfarrer die Augen gen Himmel.
    Die Gemeinde sitzt bereits in Hab-Acht-Stellung da, als wir das Gotteshaus betreten, nur die beiden Säuglinge ratzen in himmlischer Ruh. Neben Jordan Jason Klaus Schulzes Erzeugern sind noch die Herkenraths mit ihrem Nachwuchs Leonie Ayleen am Start. Natty hat uns bereits berichtet, dass Mutter Herkenrath beim Taufvorbereitungsabend etwas aus der Rolle gefallen ist. Auf die Frage, was sie sich für ihr Kind von der Taufe erhoffe, hat sie geantwortet: »Beim Taufen bestellt der Herr Pfarrer den Schutzengel für mein Kind. Der sorgt dann dafür, dass ihm nie was passiert.« Der Herr Pfarrer erläuterte daraufhin, dass er nicht von der Hamburg Mannheimer und die Taufe keine Lebensversicherung ist.
    »Manche verwechseln Colgate mit Golgata.«
    Kardinal Lehmann
    Das Aufjaulen der Orgel startet den Gottesdienst. Der Pfarrer tritt ein. Er verzieht keine Miene, als der Organist mehrfach schmerzhaft danebengreift, und macht nur kurz die Ansage, dass das Fotografieren während des Gottesdienstes nicht erwünscht ist. Die gezückten Handys verschwinden wieder, nur Mannis Mutter lässt die neue HD-Videokamera mitlaufen. Sie macht sich nicht viel aus christlichen Geboten, ihre Konfession ist abergläubisch. Den Umstand, dass ihr Enkelkind ein Junge geworden ist, hat sie im Kreise von Mannis Kumpeln bereits darauf zurückgeführt, dass ihr Sohn beim Zeugungsakt auf ihr Anraten hin die Socken anbehalten hat.
    Nach dem feuchtfröhlichen Freitagabend fällt es uns heute Morgen schwer, den Ton zu halten. Sich die unbekannte Melodie zu merken und darauf dann den Text der nächsten Strophe zu singen, überfordert uns ein wenig: »Er ist mir täglich nahe / und spricht mich selbst gerecht. / Was ich von ihm empfahe, / gibt sonst kein Herr dem Knecht. / Wie wohl hat’s hier der Sklave, / der Herr hält sich bereit, / dass er ihm aus dem Schlafe / zu seinem Dienst geleit’ ...«
    Empfahe? Sklave? Knecht?
    Egal, die anderen um uns herum verstehen auch nur Himmelfahrt und singen Playback. Dann liest eine ältere Frau aus dem Evangelium vor, und die Eltern treten mit den Säuglingen vor.
    Natty und Manni sehen zu, wie der Pfarrer ihrem Sohn das Weihwasser über den Kopf gießt. Von Manni wissen wir, dass er Religion in der Oberstufe abgewählt hat und seitdem den Begriff Gott nur noch in Zusammenhang mit Angus Young verwendet. Er artikuliert das Versprechen, seinen Sohn im christlichen Glauben zu erziehen, dennoch besonders deutlich, weil Opa Schulze mitbekommen will, dass ordnungsgemäß getauft wird. Und der Gute ist etwas schwerhörig ...
    Der Pfarrer hält noch eine Predigt darüber, dass allein der Glaube Ursache für Glück und Wandlung im Leben sei. Er rezitiert den Stürmer Cacau: »An einem Tag feiern sie dich, am nächsten bist du der Depp. Auf Jesus kannst du dich immer verlassen.« Leichte Schläfrigkeit macht sich breit. Vielleicht hätte er besser Kicker Horst Heldt beliehen, der auf die Frage, woran er glaube, antwortete: »An die fünf lebenswichtigen Bausteine in Nutella.« Der kleine Junge neben uns beginnt auf seinem iPhone Angry Birds zu spielen.
    Zum Vaterunser bewegen wieder alle wortlos die Lippen. In der Bank vor uns will sich ein junger Mann sogar zum Gebet auf die Knie werfen, aber seine Freundin erklärt ihm leise, dass das nur bei den Katholiken so sei. Als im Anschluss der Klingelbeutel durch die Reihen gereicht wird, lichten sich diese schlagartig. Draußen ist schönes Wetter, und der Kuchen ruft.
    »Manchmal ist es schwer, wach zu bleiben, besonders in der
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