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Heidenreich, Elke- Nero Corleone kehrt zurueck

Heidenreich, Elke- Nero Corleone kehrt zurueck

Titel: Heidenreich, Elke- Nero Corleone kehrt zurueck
Autoren: Unbekannt
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tatsächlich
die Trauzeugin, im Standesamt und in der Kirche. Sie saß vorn bei der Familie,
hatte sich schön gemacht, trug den Hut mit den Bosen und sah Danilo aufmunternd
an, der sehr viel zaghafter in diese Ehe ging als Clara, die alles fest im Griff
hatte und im gerafften langen weißen Kleid hin und her lief und den Kellnern und
Köchen Anweisungen gab, während Danilo am Tisch, an der langen Hochzeitstafel im
Ristorante Paradiso sitzend, mit seinem Bruder telefonierte, der nur fünf Pätze
weiter weg saß, aber sie hatten beide neue Handys und mussten ausprobieren, wie
die funktionierten. Auch andere junge Männer und Onkels und Cousins holten ihre
iPhones und Handys heraus, ließen es klingeln, verglichen Klingeltöne, zeigten
sich Fotos, telefonierten laut schreiend miteinander oder schickten sich SMS, die
Frauen tippten sich mit dem Zeigefinger an die Stirn: Tutti scemi, una gabbia di
matti — lauter Verrückte, ein Narrenhaus.
    Es wurde sehr viel gegessen, noch
mehr getrunken, und dann wurde die Hochzeitstorte aus einem Nebenzimmer hereingefahren,
auf einem Servierwagen.
    Das heißt: Sie sollte hereingefahren
werden, aber plötzlich ertönten spitze Schreie, Flüche, und dann erschien Claras
Mutter weinend im Zimmer und rief: »La torta! La torta! Maledetto!« Und alle liefen
hin, um das Elend zu besichtigen:
    Irgend jemand war über die Hochzeitstorte
hergefallen, hatte unten angefangen, Biskuit und Sahne wegzufressen, dann war das
ganze hohe Tortengebäude samt Hochzeitspaar aus Zuckerguss auf der Spitze zusammengestürzt.
Man sah Pfotenspuren in der Glasur, und das, was einmal eine Hochzeitstorte gewesen
war, lag als süßer Trümmerhaufen auf, unter und neben dem Servierwagen.
    Alle empörten sich, Clara brach
in Tränen aus und schrie: »Meine Torte! Meine Torte!« Danilo trank einen großen
Schnaps, jemand versuchte, auf einer Platte zu retten, was zu retten war, und die
Großmutter bekreuzigte sich und sagte: »Un brutto segno, molto brutto!« Ein ganz,
ganz schlechtes Zeichen ... Nur Isolde starrte stumm und mit Herzklopfen auf dieses
Werk der Zerstörung und dachte daran, wie sie einmal in Köln eine Buttercremetorte
für den Geburtstag ihrer Freundin Leonie gebacken hatte und wie sie die völlig zermatschte
und zerstörte Torte auf dem Fensterbrett gefunden hatte und einen Nero sah, der
noch dicker als sonst wirkte, im Sessel schnarchte und im Bart eindeutig Buttercremespuren
hatte.
    Nachdem man sich beruhigt und zwei
kleine Obstkuchen herangeschafft und den Kaffee herumgereicht hatte, wurden Reden
gehalten, auch Isolde wünschte dem Paar mit erhobenem Glas in holprigem Italienisch
Glück. Und sie dachte an Justus, der sie beinahe täglich am Telefon fragte: »Ist
denn noch Liebe da?« Und sie wusste nicht, ob noch Liebe da war oder ob es genug
Liebe war, wie er sich das eben so vorstellte, und wann Liebe denn eigentlich genug
war. Ach.
    Und sie hob lächelnd das Glas auf
die Jungvermählten und küsste beide und wünschte alles Glück der Welt, und das wünschte
sie ihnen wirklich, wenn sie auch nicht daran glaubte.
    Romeo bellte und war nur still,
wenn jemand ein Stück Schinken oder Wurst vom Tisch zu ihm hinunterwarf, und fast
konnte man zusehen, wie er stündlich dicker wurde.
    In der Nacht torkelte Isolde betrunken
und melancholisch nach Hause, die Schuhe mit den hohen Absätzen in der Hand, und
als sie sich ihrem Haus näherte, hörte sie ein Rascheln und sah einen Schatten
— etwas sprang auf und lief weg. Vielleicht war es Elsa gewesen — das Tellerchen,
das Isolde gefüllt hingestellt hatte, war jedenfalls leer.
    Aber kann eine schmale Elsa so
laut rascheln und so einen großen Schatten werfen?
    Isolde schloss auf und ließ die
Tür weit offen stehen, hörte noch ein bisschen Musik, trank ein letztes Glas Wein
und sah auf den See, auf den Himmel voller Sterne und hatte wieder dieses irritierende
Gefühl, genau in der Mitte zwischen Glück und Unglück zu sein. Zu schweben, in
einem seltsamen, nicht benennbaren Zustand. Etwas würde sich verändern, das spürte
sie ganz deutlich.
    Das Telefon klingelte, und sie
dachte: Ja, es ist noch Liebe da, und ging nicht dran. Sie mochte jetzt nicht reden,
sie hatte den ganzen Tag geredet, und die Worte waren ihr ausgegangen.
    In der Nacht lag sie bei weit geöffnetem
Fenster lange wach und ließ die Gedanken einfach so wandern — zu Clara und Danilo
und ihrem neuen Eheleben, zu Robert und seiner Freundin, zu Justus und seinem Klavier,
und immer
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