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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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gegeben?«, fragte ich die Sprechstundenhilfe.
    Vangelis schaltete das Signalhorn aus und ging vom Gas. Die Bergheimer Straße kam in Sicht.
    »Ich glaub nicht. Bisher hat er nicht geschossen.«
    »Wie viele Menschen sind in dieser Praxis?«
    »Robby, ich meine, Doktor Novotny. Moni natürlich, meine Kollegin. Dann der Herr Bayer, das ist der Patient, der in Zimmer zwei war, als es losging. Im Wartezimmer sitzt eine ältere Frau. Das Gesicht hab ich schon mal gesehen, aber der Name fällt mir nicht ein. Und dann ist da noch ein Mädchen, die wartet auch. Die hab ich aber noch nie gesehen. Meinen Sie, er wird durch die Tür schießen?«
    »Ganz bestimmt nicht. Er weiß ja nicht mal, dass Sie sich da versteckt haben. Und im Moment hat der ganz andere Sorgen. Gibt es eine Möglichkeit, aus dem Fenster zu klettern?«
    »Wir sind im zweiten Stock!«
    Vangelis bremste. Wir waren da. Wir parkten in einer Seitenstraße, nur fünfzig Meter vom Ort der Geiselnahme entfernt.
    »Hören Sie irgendwas? Reden sie? Streiten sie sich?«
    »Es ist ganz still. Vorhin, da hat wer geschrieen, ich glaub, das war Moni. Dann hat sie geweint. Aber jetzt ist alles still. Vielleicht sind sie alle zusammen im Wartezimmer.«
    Inzwischen telefonierte auch Vangelis wieder.
    »In welche Richtung geht das Wartezimmer?«, fragte ich die junge Frau, die sich jetzt ein wenig beruhigt hatte. »Zur Straße oder nach hinten?«
    »Zur Straße.«
    Nahezu gleichzeitig drückten Vangelis und ich die roten Knöpfe unserer Handys.
    »Was soll der Scheiß?« Balke war kurz vor uns angekommen, und nun standen wir zu dritt auf dem Gehweg gegenüber dem Haus, in dem sich die Arztpraxis befand, keine zweihundert Meter von unseren Büros entfernt. »Was will der Blödmann da oben?«
    »Seine Frau besuchen«, antwortete ich. »Frau Eichner arbeitet da als Sprechstundenhilfe.«
    Ratlos sahen wir die Fassade des hässlichen, sechs- oder siebenstöckigen grauen Gebäudes hinauf. Es stammte vermutlich aus den Sechzigerjahren. Im Erdgeschoss eine Metzgerei, die zum Glück gerade keine Kundschaft zu haben schien. Links daneben ein Altbau mit Apotheke im Erdgeschoss, dann ein Pelzgeschäft, wenn ich das merkwürdige Schild richtig entzifferte. Alles weitgehend menschenleer. Auch an der Straßenbahnhaltestelle in der Mitte der breiten Straße warteten nur drei Personen. Die Leute in den anderen Stockwerken des Hauses wussten noch nichts von dem Drama, das sich in ihrer Nähe abspielte. In sicherer Entfernung hielt ein Krankenwagen, der ebenfalls ohne Martinshorn angerückt war. Und in der für Seligmann nicht einsehbaren Thiebaut-Straße, einem Seitensträßchen, das zum Neckar hinabführte, kam inzwischen ein Einsatzfahrzeug nach dem anderen an. Sobald unser Truppenaufmarsch abgeschlossen war, musste ich das Gebäude räumen lassen.
    Balke schlug vor, mit Hilfe der Feuerwehr die junge Frau aus der Toilette zu befreien. Aber nach kurzem Nachdenken verwarfen wir den Plan.
    »Und sie hat wirklich den Bankraub organisiert?«, fragte Balke, der natürlich auch schon von Rebecca Brauns Tod erfahren hatte.
    »Es sieht alles danach aus.«
    Eine Straßenbahn hielt, fuhr dann friedlich summend weiter in Richtung Stadt. Jetzt war die Haltestelle mit den hellblau lackierten Wartehäuschen menschenleer. Zum Glück herrschte auch auf der Straße nicht viel Verkehr. Der Himmel war schwach bewölkt. Fast minütlich wechselten sich Schatten und Sonnenschein ab.
    »Und Seligmann? Hat er von dem Bankraub gewusst?«
    »Ich denke eher nicht«, erwiderte ich. »Er hätte versucht, ihr die Schnapsidee auszureden.«
    »Ausgerechnet diese Frau.« Balke sah mich kopfschüttelnd an. »Auf mich hat die gewirkt wie eine Nonne!«
    »Sie war Schauspielerin«, gab ich zu bedenken. »Und zwar eine ziemlich gute, wie es scheint. Jedenfalls hat sie ihre Rolle der betrogenen, hilflosen Ehefrau perfekt gespielt.«
    Mein Handy vibrierte. Der Chef der Spurensicherer erstattete mir einen ersten, knappen Bericht.
    »Punkt A: das Geld haben wir gleich gefunden. Im Keller, hinter einem alten Schrank. Und B: sie hat Schmauchspuren an der rechten Hand.«
    »Also doch Selbstmord«, meinte Vangelis mit krauser Stirn, als ich das Telefonat beendet hatte.
    »Den Abschiedsbrief öffnen Sie, sobald alle Spuren gesichert sind.«
    Wieder sahen wir hinauf zu den Fenstern, hinter denen wir die Praxis vermuteten. »Ich nehme an, er hat sie heute Vormittag wie üblich erwartet«, überlegte ich laut, »aber sie ist nicht
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