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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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gekommen.«
    »Und da ist er rüber«, ergänzte Balke, »und hat sie gefunden.«
    »Und dann ist er ausgerastet, hat ihr die Augen zugedrückt und die Pistole an sich genommen.« Vangelis schüttelte den Kopf. »Wozu auch immer.«
    Was mochte Seligmanns Plan sein? Ich atmete tief ein und aus. Meine Augen brannten. Ich schloss sie und riss sie wieder auf. Es half nichts.
    »So ein Blödmann!«, schimpfte Balke. »Was für ein gottverdammter Mist!«
    Ich war absolut seiner Ansicht.
    Vangelis hatte sich inzwischen die Nummer der Zahnarztpraxis besorgt, aber dort nahm niemand ab.
    »Wir müssen nach oben. An ein Fenster auf gleicher Höhe.«
    Hinter uns, auf der Nordseite der Straße, stand ein rosa gestrichenes Haus. Unten ein Feinkostgeschäft und ein Frisör. Darüber anscheinend Wohnungen.
    Inzwischen wimmelte die Gegend von Einsatzfahrzeugen und Polizisten. In Kürze konnten wir mit der Evakuierung beginnen. Und dann musste ich wohl oder übel die Straße sperren lassen.
    Fünf Minuten später stellten wir fest, dass wir immer noch nicht in die Praxis hineinsehen konnten. Zwar versperrten uns die Bäume am Straßenrand nicht die Sicht, da genau vor uns eine Lücke war, aber die blickdichten Senkrecht-Jalousien an den Fenstern gegenüber waren zugeklappt.
    Wir standen am Wohnzimmerfenster der nach Tannennadeln und Kaffee duftenden Wohnung einer aufgekratzten älteren Dame, Frau Glaser, die eindeutig zu viele Krimis sah. Ihr weißes Haar hatte sie färben lassen. Der Frisör musste jedoch ein Stümper sein, denn ihr Kopf schimmerte grünlich, was sie jedoch nicht zu stören schien.
    Ständig wollte sie wissen, wann wir denn nun die Praxis stürmten, ob auch in ihrem Wohnzimmer Scharfschützen postiert würden, ob mit vielen Toten zu rechnen sei.
    Sie schien etwas enttäuscht zu sein, dass unten nicht im Sekundentakt Streifenwagen mit heulenden Sirenen vorfuhren. Ich erklärte ihr, es sei für alle Beteiligten wesentlich günstiger, wenn sich der Aufmarsch in aller Stille vollziehe, und nur in billigen amerikanischen Filmen führen hundert Streifenwagen mit Karacho und qualmenden Reifen vor. Als sie hörte, dass wir dennoch inzwischen über vierzig Polizisten vor Ort hatten, von denen sie außer uns dreien nicht einen sehen konnte, machte sie große Augen und war fürs Erste zufrieden.
    Das Fenster war zum Glück breit genug, sodass wir zu dritt hinaussehen konnten. Die Gardinen ließen wir in Ruhe. Balke telefonierte ständig und sorgte dafür, dass unten jeder wusste, was er zu tun hatte. Einige unserer Leute bereiteten sich darauf vor, auf mein Kommando hin sekundenschnell die Straße zu sperren. Aber noch ließ ich den Verkehr laufen. Jede Störung, jede plötzliche Veränderung konnte zum jetzigen Zeitpunkt eine Katastrophe auslösen. Einige Kollegen und Kolleginnen in Zivil klingelten jetzt drüben an jeder Tür und baten die Menschen, die sich dahinter aufhielten, leise und ohne Hektik das Haus zu verlassen. Im Sekundentakt drängelten sich unten kleine Gruppen durch die zweiflügelige, gläserne Haustür ins Freie und suchten das Weite. Das Sondereinsatzkommando war inzwischen im Anmarsch, hörten wir von Balke.
    Seligmann bemerkte von all dem nichts. Noch konnte er sich in der Illusion wiegen, er sei allein mit seinen Geiseln.
    »Was will er von seiner Frau?«, fragte Balke zwischen zwei Telefonaten. »Händchen halten? Die zwei sind doch seit Ewigkeiten geschieden!«
    »Vermutlich genau das«, erwiderte ich. »Händchen halten. Wen hat er sonst noch, mit dem er reden könnte?«
    Vangelis wählte wieder einmal erfolglos die Nummer der Praxis. Die Jalousien drüben bewegten sich kein einziges Mal.
    Als mein Handy wieder Alarm schlug, kannte ich die Nummer schon.
    »Ich hör was«, wisperte die junge Sprechstundenhilfe. »Er … Er kommt … O Gott!«
    Geräusche. Jemand rüttelte an einer Tür.
    »Was ist denn … Ist da einer drin?« Eindeutig Seligmanns Stimme.
    Es folgte ein Krachen. Dann brach das Gespräch ab.
    Augenblicke später bimmelte mein Handy erneut.
    »Das haben Sie ja sauber eingefädelt, Herr Gerlach«, bellte mir Seligmann ins Ohr.
    »Ich habe überhaupt nichts eingefädelt«, antwortete ich ruhig. »Aber schön, dass Sie sich melden. Ich wollte sowieso mit Ihnen sprechen.«
    »Wo stecken Sie überhaupt?«
    »In der Wohnung gegenüber.«
    Auf meinen Wink hin schob Balke die Gardine beiseite. Ehrlich sein, mit offenen Karten spielen, Vertrauen schaffen. Das war jetzt, in dieser ersten und
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