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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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nichts wurde.
    »Dann lassen Sie uns mal Inventur machen.« Ich schob meinen Teller beiseite. »Soweit wir wissen, befinden sich sechs Personen in Seligmanns Gewalt.« Ich schlug einen Block auf, den mir Frau Glaser begeistert zur Verfügung stellte, und begann eine Liste.
    »Erstens der Zahnarzt, Doktor Novotny. Dann seine beiden Sprechstundenhilfen, Monika Eichner und …«
    Um Himmels willen! Novotny! Frau Eichner!
    Schon hatte ich das Handy in der Hand. Louises Nummer. Zum Glück nahm sie gleich ab.
    »Wo steckt Sarah?«, presste ich hervor.
    »Na, wo wohl?« fragte sie patzig zurück. »Wo du sie hingeschickt hast.«
    »Doch hoffentlich nicht beim Zahnarzt!«
    »Die ganze Zeit nervst du an ihr rum, und jetzt ist sie endlich hingegangen, und jetzt ist es auch wieder verkehrt? Dir kann man einfach nie irgendwas recht machen!«
    Ich fiel in dieses widerlich weiche Sofa zurück.
    Und dann ist da noch ein Mädchen im Wartezimmer, hörte ich die Stimme der Sprechstundenhilfe. Oh mein Gott. Meine kleine Tochter dort drüben in der Gewalt dieses Wahnsinnigen! Ich nahm die Brille ab und bedeckte meine Augen.
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte Vangelis besorgt.
    »Geht schon«, erwiderte ich. »Vielleicht zu viel Kaffee.«
    »Wir bräuchten einen Internet-Anschluss«, hörte ich Vangelis sagen. »Jede ordentliche Praxis hat doch heutzutage eine Homepage. Wenn wir Glück haben, gibt’s ein paar Fotos. Dann könnten wir uns ein Bild machen, wie es da drüben aussieht.«
    »Oh, da kann ich helfen«, erklärte unsere reizende Gastgeberin freudestrahlend. »Mein PC ist rund um die Uhr online. DSL! Flatrate! Zwanzig Gigabyte!«
    Ich muss Balke später fragen, was das bedeutet, dachte ich mechanisch und setzte die Brille wieder auf.
    Sarah in der Hand eines bewaffneten Verrückten, der mir auf einmal ganz und gar nicht mehr harmlos erschien!
    Vangelis und die alte Dame erhoben sich. Ich musste mit. Ich konnte jetzt nichts sagen. Noch nicht. Es würde sich eine Gelegenheit finden, Vangelis die katastrophale Wahrheit zu eröffnen und ihr das Kommando zu übertragen. Aber noch konnte ich es nicht. Schließlich war es meine Tochter, die sich in Gefahr befand. Nein, bestimmt war es besser, wenn ich die Sache erst mal weiterleitete. Wie durch Watte hörte ich die aufgeregte Stimme von Frau Glaser.
    Plötzlich saßen wir in einem luftigen Zimmer nach hinten vor einem großen Flachbildschirm. Mit flinken Fingern hämmerte Frau Glaser auf die Tastatur ein. Nebenbei erzählte sie uns, den Internet-Anschluss habe ihr ein Neffe spendiert, zu ihrem Siebzigsten, und sie wolle das moderne Zeug nicht mehr missen. »Man wäre ja völlig aus der Welt ohne diese wunderbaren Sachen.«
    Die Homepage der Zahnarztpraxis Doktor Novotny erschien, Frau Glaser kniff die Augen zu Schlitzen, ging mit der Nase nah an den Bildschirm und klickte auf »Unser Team«.
    Monika Eichner lächelte uns Vertrauen erweckend an. Der Zahnarzt sah eigentlich ganz sympathisch aus. Die andere Sprechstundenhilfe war genauso jung, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
    Unter »Unsere Praxis« kamen tatsächlich, wie Vangelis gehofft hatte, Fotos von den hellen und in fröhlichen Farben gestalteten Räumen. Vangelis übernahm die Maus, klickte hin und her und zeichnete, leise vor sich hinmurmelnd, nach und nach einen ungefähren Plan. Ich war nicht im Stande, ihr zu folgen, aber zum Glück bemerkte das niemand.
    Irgendwann ging es zurück ins Wohnzimmer. Vangelis verzichtete auf ein viertes Stück Kuchen. Die junge Auszubildende hieß Silke Ganz. Aus dem Gedächtnis schrieb ich den Namen des älteren Patienten auf, den sie mir genannt hatte: Bayer?
    Sarah dort drüben, meine kleine Tochter, und ich hatte sie hingeschickt. Ausgerechnet ich.
    »Sie haben völlig Recht, Stürmen wäre wirklich Wahnsinn.« Vangelis wischte ein paar Kuchenkrümel vom Tisch. »Wenn meine Skizze halbwegs stimmt, dann müssten unsere Leute durch drei Türen. Und zumindest die erste dürfte Zeit kosten. Ich schätze, fünf Sekunden reichen bei Weitem nicht.«
    »Die Eingangstür könnten wir doch in aller Ruhe knacken«, widersprach Balke mürrisch, ohne sich umzudrehen. »Das geht praktisch lautlos. Dann sind es nur noch zwei Türen und maximal drei Sekunden.«
    »Das ist alles Unsinn«, versetzte ich. »Solange es irgendeinen anderen Ausweg gibt, wird nicht gestürmt. Und ich bin absolut sicher, Seligmann wird früher oder später zur Vernunft kommen.«
    Der letzte Satz hatte vor allem mir selbst
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