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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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ein Schlafmittel in die Getränke tun sollen«, meinte Balke. »Dann hätten wir ihn in einer halben Stunde nur noch aufsammeln müssen.«
    Die Scharfschützen hockten gut gelaunt am Boden und unterhielten sich angeregt und hin und wieder gähnend über ihre Abenteuer des letzten Wochenendes, ihre neuesten Eroberungen und Traumautos. Der Verkehr auf der Straße unten hatte im Lauf der letzten Stunde deutlich zugenommen. Feierabendzeit. Dann, gegen acht, wurde er allmählich wieder schwächer.
    Balke lief im inzwischen etwas überfüllt wirkenden Wohnzimmer unserer Gastgeberin herum. Vangelis probierte die Klingeltöne ihres Handys durch, bis ich sie in nicht sehr höflichem Ton bat, es zu lassen. Frau Glaser hatte Mühe, die Augen offen zu halten.
    Die elende Warterei zerrte an den Nerven aller. Seit fast einer Stunde hatten wir keinen Kontakt mit Seligmann gehabt. Und dort drüben, keine dreißig Meter entfernt, saß meine Tochter, vierzehn Jahre alt, völlig unschuldig an diesem Wahnsinn, hilf- und wehrlos und zu Tode erschrocken, und ich konnte nichts tun, um ihr zu helfen.
    Das Warten ist immer das Schlimmste.

29
    Um Punkt acht klingelten zwei Handys gleichzeitig. Mein Herz setzte zwei Schläge aus, als ich auf meinem »Sarah« las.
    »Was ist los?«, wollte sie wissen. »Loui sagt, du wolltest was von mir?«
    »Wo steckst du?«
    »Daheim.«
    »Und wo warst du die ganze Zeit?«
    »In der Stadt. Ich musste was … für die Schule besorgen.« Vermutlich hatte sie eine Tour durch die Boutiquen gemacht.
    »Warst du nicht beim Zahnarzt?«
    »Doch … Ich … Ich bin auch hingegangen, ganz ehrlich. Ich war in der Praxis, aber da war das Zahnweh auf einmal wieder weg, und da …«
    »Hast du gekniffen«, seufzte ich und hätte sie gerne in die Arme genommen und ganz fest und sehr lange an mich gedrückt.
    »Ehrlich, ich kann das nicht, Paps«, sagte sie mit weinerlicher Stimme. »Ich geh da nur hin, wenn du mitgehst. Hast du vergessen, dass Mama gestorben ist, nachdem sie beim Zahnarzt war?«
    Natürlich hatte ich es nicht vergessen. Wie könnte ich. »Ich liebe dich«, sagte ich zugleich erschöpft und überglücklich.
    »Ähm … was?«
    Balke bedeutete mir aufgeregt, ich müsse Schluss machen.
    »Er verlangt, dass wir ihn erschießen!«
    In der Zwischenzeit hatte er mit Seligmann gesprochen.
    »Ähm … wie bitte?«
    »Er tritt jetzt ans Fenster, sagt er, und dann sollen wir ihn erschießen. Er will sterben. Selbst kann er es nicht, sagt er. Er hätte es oft genug probiert.«
    Wieder einmal versank ich in meinem Sofa. »Geben Sie ihn mir, um Gottes willen.«
    Balke drückte ein paar Knöpfe und reichte mir sein Handy. Seligmann nahm sofort ab.
    »Was soll denn das jetzt schon wieder?«, fragte ich. »Lassen Sie Ihre Geiseln frei, werfen Sie die Waffe weg und kommen Sie raus. Sie werden ein bisschen bestraft werden, klar, aber vermutlich kriegen Sie sogar Bewährung. Noch ist ja nichts passiert.«
    »Nichts passiert?« Er lachte rau. »Sie sind gut. Nichts passiert!« Aber immerhin – er legte nicht auf.
    Endlich ließ er mit sich reden.
    »Was Sie Jule angetan haben, müssen Sie mit Ihrem Gewissen ausmachen, da kann Ihnen keiner helfen. Aber an dem, was danach geschah, tragen Sie keine Schuld.«
    »Wäre ich vernünftig gewesen …«
    »Niemand ist immer vernünftig.«
    »Ich war ihr Lehrer!«
    »Auch Lehrer nicht.«
    Alle im Raum beobachteten mich mit starren Mienen. Ich nickte beruhigend in die Runde. Frau Glasers Mund stand halb offen. Ihre graublauen Augen glänzten. Seligmann legte immer noch nicht auf. Noch fünf Minuten, und ich hatte ihn so weit.
    »Sie haben wirklich nichts zu fürchten.«
    »Ich fürchte mich vor mir selbst. Jetzt habe ich auch noch Rebecca auf dem Gewissen.«
    »Sie war eine erwachsene Frau, die wusste, was sie tat. Sie hat sich ins Unglück gestürzt und die Konsequenzen gezogen.«
    Vangelis schob mir einen Zettel zu. Ich las zwei Worte: Davids Geständnis.
    »Wir wissen übrigens jetzt, wer wirklich an Jules Unglück schuld ist«, sagte ich ins Telefon. »Wollen Sie es hören?«
    »Das weiß ich seit Jahren. Rebecca hat es mir gesagt. Aber er war es ja nicht allein.« Er hustete seinen schleimigen Raucherhusten. »Und die Burschen waren ja noch halbe Kinder, und …«
    »Für jeden finden Sie eine Entschuldigung, nur für sich selbst nicht.«
    »Ich kann’s nicht ändern.«
    Die Mienen meiner Zuhörer entspannten sich allmählich. Auch sie fühlten, dass es zu Ende ging. Zu einem
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