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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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kritischsten Phase der Geiselnahme, das Wichtigste. Seligmann musste mir glauben, sich beruhigen, allmählich seine Angst verlieren. In den nächsten Stunden würde ich der einzige Mensch sein, auf den er sich verlassen konnte. Sein Partner, sein Freund sogar, wenn alles gut ging. Nur dann bestand die Chance, ihn zum Aufgeben zu überreden. Drüben bewegte sich kurz die Jalousie.
    »War das der Killer?«, flüsterte Frau Glaser ehrfürchtig. »Warum haben Sie nicht geschossen?«
    »Wir würden ihn von hier aus gar nicht treffen«, klärte Vangelis sie freundlich auf. »Und außerdem könnte er ja zurückschießen.«
    Frau Glaser erblasste. Aber nur ein wenig.
    »Was haben Sie vor?«, fragte ich Seligmann. »Was verlangen Sie?«
    Das Gespräch in Gang halten. Bloß den Kontakt nicht abreißen lassen.
    »Das kann Ihnen ja wohl egal sein.«
    »Sie können nichts dafür, dass sie sich erschossen hat.«
    »Und ob!« Sein heiseres Keuchen klang, als versuchte er zu lachen. »Ich hab ihr gesagt, sie ist verrückt, als sie mir gestern Abend das von dem Bankraub gestanden hat. Herrgott, ich hätte bei ihr bleiben müssen, auf sie aufpassen, sie trösten. Und stattdessen schrei ich sie an und lasse sie allein in ihrem Zustand! Selbstverständlich bin ich schuld!«
    »Sie können nicht für alles, was geschieht, die Verantwortung auf sich nehmen.«
    »Reden Sie kein Blech.« Plötzlich klang er sehr erschöpft. »Hättet ihr mich sterben lassen, als ich die Tabletten genommen hatte. Dann würde Rebecca jetzt noch leben.«
    »Was verlangen Sie? Wir können über alles reden.«
    »Meine Ruhe. Lasst mich einfach nur in Ruhe. Wenn ihr Stress macht, dann gibt’s ein Drama. Mir ist jetzt alles egal. Jetzt ist sowieso alles kaputt.«
    »Komische Art, seine Ruhe zu finden, meinen Sie nicht auch?« Ich brachte sogar ein ziemlich echt klingendes Lachen zustande.
    »Das lasst mal meine Sorge sein, ich werd schon …« Das Gespräch brach mitten im Satz ab.
    »Und?«, fragte unsere Gastgeberin mit fiebrigem Blick. »Hat er ein Ultimatum gestellt? Droht er, seine erste Geisel abzuknallen?«
    »Der wird nicht schießen.« Ich steckte das Handy in die Jacketttasche. »Der Mann ist völlig harmlos. Er muss nur erst mal wieder zu sich kommen. Alles andere hier sind reine Vorsichtsmaßnahmen.«
    Inzwischen hatten vor der Praxistür einige Kollegen in schusssicheren Westen Position bezogen, berichtete Balke. »Das Haus ist geräumt. Sie müssen nur noch das Kommando geben, dann legen wir los. In fünf Sekunden sind wir drin.«
    »Niemand legt hier los!«, fuhr ich ihn an. »Wir warten, bis er sich wieder meldet.«
    »Und wenn nicht?«

28
    »Dürfte man den Herrschaften ein Käffchen anbieten?« Frau Glaser stammte unüberhörbar aus dem Rheinland. »Es wäre auch noch ein bisschen Kuchen da.«
    Wir tauschten Blicke und nahmen das Angebot an. Es war schon später Nachmittag, das Mittagessen eine Weile her, und merkwürdigerweise war ich hungrig. Balke musste am Fenster bleiben und seinen Kaffee im Stehen trinken. Vangelis und ich nahmen auf dem Sofa Platz, in dem wir fast versanken und Mühe hatten, unsere Tassen zu erreichen. Das »bisschen Kuchen« erwies sich als eine halbe Schwarzwälder Kirschtorte, ein fast kompletter Marmorkuchen und diverse andere überaus appetitanregende Dinge. Wir erfuhren von der fröhlich plappernden Hausfrau, sie habe gestern zusammen mit einer Unzahl Freundinnen ihren fünfzigsten Hochzeitstag gefeiert.
    »Wenn das mein Schorsch noch erlebt hätte!«, seufzte sie alle Augenblicke. Ihr Mann war vor einem halben Jahr gestorben, aber sie sprach mit erstaunlicher Gelassenheit über diesen Schicksalsschlag.
    Nur aus Überzeugung lehnte ich ein zweites Stück Marmorkuchen ab. Vangelis hingegen griff freudig zu.
    Balke telefonierte immer noch oder schon wieder.
    »Wann kommen denn nun die Männer mit den Gewehren?«, wollte Frau Glaser wissen, die sich an die selbst gebackene und deutlich nach Schnaps riechende Kirschtorte hielt. »Ich dachte, das geht alles ein bisschen flotter bei Ihnen.«
    »In einer halben Stunde müssten sie da sein«, antwortete Vangelis an meiner Stelle, die offenbar zu den glücklichen Menschen zählte, welche drei Stücke Kuchen verdrücken dürfen, ohne sich Gedanken um ihre Figur machen zu müssen.
    »Aber sie werden nichts zu tun bekommen«, fügte ich hinzu.
    Schade, meinte Frau Glasers Blick.
    Balke schwieg endlich und schien ein wenig beleidigt zu sein, weil aus seinen Invasionsplänen
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