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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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ist mit Ihrer Mutter? Steckt sie in Schwierigkeiten?«
    »Nicht wirklich«, erwiderte der junge Mann ernst und sah mir endlich ins Gesicht. Seine Augen waren dunkel, die Wimpern ungewöhnlich lang, der Blick verzagt. »Es ist wegen unserem Nachbar. Sie macht sich solche Sorgen um ihn.«
    »Warum?«
    »Er ist verschwunden. Und Mom ist total durch den Wind deswegen. Ich hab ihr gesagt, dann ruf doch die Polizei an, sollen die sich drum kümmern. Aber sie traut sich nicht. Und da hab ich gedacht, bevor sie mir noch völlig durchdreht, mach ich’s eben.« Er schluckte. »Ich meine, wenn einer auf einmal spurlos verschwunden ist, dann sind Sie ja wohl zuständig, oder nicht?«
    Ich sah auf die Uhr. Noch eine Minute. Ich hatte keine Ahnung, was Liebekind von mir wollte. Aber wenn er mich zu so unchristlicher Zeit zu sich bestellte, dann war es wohl wichtig.
    »Seit wann ist Ihr Nachbar denn weg?«, fragte ich ungeduldig.
    »Seligmann heißt er. Seit zwei oder drei Tagen. Genau weiß Mom es auch nicht. Bestimmt ist er bloß verreist, mal ein bisschen weggefahren, hab ich ihr schon tausendmal erklärt. Er ist ja alt genug, er ist nämlich schon Rentner. Aber Mom ist völlig aufgelöst, weil er ihr nichts gesagt hat.«
    »Ist er denn gesund?« Ich tippte mir an die Schläfe. »Hier?«
    Mein Gegenüber schenkte mit ein Lächeln, bei dem meinen Töchtern die Luft weggeblieben wäre. »Er ist nicht verrückt oder so was. Ein komischer Vogel, okay. Aber er weiß, wer er ist und wo er ist.«
    »Aber warum ist Ihre Mutter dann so beunruhigt?«
    »Tja, wenn ich das wüsste.« Betreten senkte er den Blick. Zuckte die Achseln. »Sonst sagt er eben immer Bescheid, wenn er mal länger wegbleibt. Er hat Haustiere, irgendwelche Amphibien, Spinnen, solches Zeug, und Mom versorgt die dann normalerweise. Aber diesmal hat er ihr nichts gesagt.«
    Nun hatte ich wirklich keine Zeit mehr.
    »Hat jemand in der Nachbarschaft einen Schlüssel zu Herrn Seligmanns Haus?«
    »Mom hat einen. Meinen Sie denn, sie dürfte mal reingucken? Auch wenn er sie nicht drum gebeten hat? Das würde sie bestimmt beruhigen.«
    »Sagen Sie Ihrer Mutter, sie soll ruhig in das Haus gehen und nach den Tieren sehen. Und falls Ihr Nachbar später Ärger macht, dann soll er sich an mich wenden.«
    »Danke.« Der junge Mann wirkte sehr erleichtert. »Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Mom wird bestimmt froh sein.«
    Ich nickte ihm zu und wandte mich zum Gehen.
    »Wie ist eigentlich Ihr Name?«, rief er mir nach. »Und warum sieht man Sie im Fernsehen?«
    »Gerlach«, erwiderte ich über die Schulter. »Ich bin hier der Kripo-Chef.«
    Als er ging, bemerkte ich, dass er das eine Bein ein wenig nachzog.

2
    Auch Liebekind machte sich Sorgen, ich sah es auf den ersten Blick. Beim letzten Glockenschlag der nicht weit entfernten Lutherkirche hatte ich an seine Tür geklopft.
    »Dieser leidige Fall Melanie Seifert«, stöhnte er, als ich vor seinem ausladenden Schreibtisch aus dunklem Holz Platz nahm, der mich immer an einen Beichtstuhl denken ließ. Vielleicht, weil ich nun schon seit Monaten mit seiner Frau schlief und ständig fürchtete, er könnte dahinterkommen. Wie üblich drehte mein Chef zwischen Zeige- und Mittelfinger eine seiner heiligen Zigarren, die er niemals ansteckte, sondern lediglich mit verzückter Miene betrachtete und hie und da ein wenig beschnüffelte. »Die Presse gibt einfach keine Ruhe deswegen.«
    »Was sollen wir machen?« Offenbar ging es auch heute nicht um Theresa. Lautlos aufatmend lehnte ich mich in dem altmodischen, bequemen Stuhl zurück. »Die Staatsanwaltschaft hat die Akte geschlossen.«
    Der Fall Seifert machte seit Tagen Schlagzeilen in einem bestimmten Teil der örtlichen Presse. Das fünfzehnjährige, ein wenig pummelige Mädchen war kurz vor Mitternacht auf dem Heimweg von einer gut gelungenen und sicherlich nicht ganz alkoholfreien Party gewesen. In der Straßenbahn kam sie mit einem etwa zehn Jahre älteren Mann ins Gespräch. Der hatte ihre Ausgelassenheit und blitzenden Augen falsch gedeutet, war mit Sicherheit auch nicht der Hellste, und am Ende hatte es ein wenig Geschrei gegeben. Zwei beherzte Fahrgäste waren eingeschritten, der Straßenbahnfahrer hatte unverzüglich über Funk die Polizei gerufen, und im Grunde war nichts passiert, was nicht jeden Tag tausend Mal irgendwo geschieht. Ein Mann versucht, an ein Mädchen heranzukommen, sie will nicht und weist ihn ab.
    Selbstverständlich hatte der Kerl sich dabei
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