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Hausbock

Hausbock

Titel: Hausbock
Autoren: Richard Auer
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eigene klägliche Vorstellung an der
»Hubertus-Halle« des Eichstätter Volksfestes. »Der Täter gab wahrscheinlich nur
einen einzigen Schuss ab – wenn er Ihren Vater verfehlt hätte, wäre der sofort
geflohen und der Mörder hätte ihn nur noch schwerlich von vorn treffen können,
sondern eher von hinten.«
    Hecht fing leise, fast unhörbar, zu summen an. Morgenstern erkannte
die Melodie sofort: das Jennerweinlied. »Es war ein Schütz, in seinen schönsten
Jahren, der wurde weggeputzt von dieser Erd …«
    Morgenstern schüttelte unwillkürlich den Kopf. Der Wildschütz
Jennerwein war ein Wilderer aus den bayerischen Bergen, der von einem Jäger von
hinten erschossen worden war. Doch das Lied passte überhaupt nicht zu ihrem
Jäger, der auf seinem Hochstand niedergestreckt worden war. Gemeinsam war den
beiden Fällen nur die Heimtücke. Morgenstern kam ins Grübeln: In den riesigen
Jurawäldern rund um Eichstätt gab es zerklüftete Felswände, schmale Täler,
steile Hänge, fast wie in den Alpen.
    »Sagen Sie mal, Herr Schreiber: Gibt es hier in der Region
eigentlich …«, er zögerte kurz, weil er fürchtete, sich lächerlich zu machen,
»gibt es im Altmühltal Wilderer?« Umso mehr überraschte ihn Schreibers
Reaktion.
    »Wilderer?«, sagte Schreiber. »Haben wir immer wieder. Aber zum
Glück nicht oft.«
    »Das ist ja spannend«, sagte Morgenstern erfreut. »So richtige
Wildschützen mit geschwärztem Gesicht und Hut und Rucksack?«
    »Was weiß ich?«, gab Schreiber zurück. »Es wird ja nie einer
erwischt. Aber man findet immer wieder ein angeschossenes Reh, das elend im Unterholz
krepiert ist, oder kleine Kitze, denen mitten in der Schonzeit die Geiß
weggeschossen worden ist und die dann erbärmlich verhungern.«
    »Solche Schweine!«, entfuhr es Morgenstern. »Dieses Altmühltal ist
mir ein Rätsel. Hattest du eine Ahnung, dass mitten in Bayern gewildert wird,
Peter?«
    Hecht nickte. »Rund um Schrobenhausen gibt es nicht so viel Wald wie
hier, aber Wilderei haben wir trotzdem.«
    Morgenstern wandte sich wieder an Schreiber. »Hat Ihr Vater in
letzter Zeit etwas von Wilderei in seinem Revier erzählt?«
    Schreiber nickte. »Eigentlich hat mein Vater mit mir nicht viel über
die Jagd gesprochen, da war er nachtragend. Aber an eine Sache kann ich mich
erinnern. Es gab mal eine Gams hier oben im Revier, bestimmt ein Jahr lang.«
    »Eine Gams?«, fragten Hecht und Morgenstern wie aus einem Mund.
    »Ja, eine richtige Gebirgsgams, die hat es irgendwie ins Altmühltal
verschlagen. So etwas kommt nur alle heiligen Zeiten vor, aber an den steilen
Hängen und in den verlassenen Steinbrüchen finden sie anscheinend gute
Lebensverhältnisse. Aber es sind immer nur Einzeltiere. Anders sieht es bei den
Mufflons aus.«
    »Wie bitte?«, fragte Morgenstern.
    »Mufflons, das sind Wildschafe aus Korsika. Die hat irgendwer vor
Jahrzehnten bei uns angesiedelt. Und jetzt ziehen sie herdenweise durch die
Wälder.«
    »Aber Braunbären und Wölfe gibt es hier nicht?«, fragte Morgenstern.
    »Alles nur eine Frage der Zeit. Wenn man bedenkt, dass Bruno es bis
Garmisch-Partenkirchen geschafft hat. Die hundertfünfzig Kilometer nach
Eichstätt trabt so ein Bär in drei Tagen.«
    »Zurück zu dieser Gams«, sagte Hecht. »Was war damit?«
    Schreiber dachte intensiv nach, dann erzählte er: »Die Gams ist vor
ungefähr vier Jahren hier oben aufgetaucht. Mein Vater war damals ganz aus dem
Häuschen vor Freude und hat es überall rumerzählt. Spaziergänger haben sie
gesehen, hier ist ja immer viel los. Wie gesagt: Die Zeitung hat darüber
berichtet, es gab sogar ein Interview mit dem Vorstand des Jägervereins.«
    »Ein tierischer Popstar«, bilanzierte Morgenstern, und Schreiber
nickte.
    »Mein Vater hatte eine riesige Freude an dem Vieh, er hatte einen
regelrechten Narren daran gefressen. Einen ganzen Winter lang hat er
extrafleißig seine Wildfütterungen gemacht, obwohl das die Förster gar nicht
gerne sehen. Aber er wollte unbedingt, dass die Gams durchkommt.«
    »Kam sie aber nicht«, tippte Morgenstern trocken.
    »Stimmt genau. Eines Tages kam mein Vater wieder zu seiner
Futterstelle, mit Rübenschnitzeln, Heu und einem Sack altbackener Semmeln und
Brezen. Da fand er direkt neben der Futterkrippe einen großen Blutfleck und
Schleifspuren im Schnee. Und von diesem Tag an war die Gams verschwunden. Es
war, glaube ich, das einzige Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Er hat die
Polizei verständigt, aber denen war die Sache
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