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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete
Autoren: Agnes Kottmann
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dass er noch immer verdammt gut aussah. Seine blauen Augen strahlten. Aber mittlerweile konnte ich mit Sicherheit behaupten, dass man durch die Augen eines Menschen leider nicht in dessen Seele gucken kann. Denn dann wären seine wohl eher rabenschwarz.
    »Hi«, sagte ich knapp. Er sollte nicht glauben, dass das hier ein netter Nachmittagsplausch werden würde.
    Er sah mir wieder so intensiv in die Augen, dass ich am liebsten alles Misstrauen über das Brückengeländer geworfen hätte. Musste das schön sein, so einem Blick wirklich vertrauen zu können. Schnell wandte ich mich ab. »Da vorn hat Mike sich runtergestürzt. Das wissen wir jetzt hundertpro«, sagte ich und schaute über das Brückengeländer in die Tiefe.
    »Das heißt, er kann sich wieder erinnern?«, fragte Wolfgang. Seine Freude hörte sich nicht mal gespielt an. Überrascht klang er auch nicht. »Das freut mich für ihn und seine Eltern.«
    »Er hat gesagt, dass du Tsunami bist.«
    »Hast du mich deshalb herbestellt, um mir das mitzuteilen? Das hättest du mir auch am Telefon sagen können.« Okay, er wollte also nicht drauf eingehen. Er fragte auch nicht, was Mike sonst noch erzählt hatte.
    Ich sah ihn herausfordernd an. »Wenn Mike nicht mehr leben würde, läge ich jetzt auch da unten, denn dann hätte das Leben keinen Sinn mehr für mich.«
    »Was redest du denn da?«, empörte sich Wolfgang jetzt. »Gab es nicht schon genug Opfer!?«
    Das sagt ja der Richtige!,dachte ich.
    »Außerdem trifft dich keine Schuld«, fügte er hinzu. Langsam taute er auf und war bereit, mehr zu reden. Zum Glück war ich nicht mehr so naiv wie früher.
    »Doch, ich war nicht empathiebereit, hat die Polizeipsychologin gesagt. Und sie hat recht. Bei mir hätten alle Alarmglocken klingeln müssen, als Robin uns gefragt hat: ›Was gebt ihr mir dafür, wenn ich nicht mehr da bin?‹ Damit war doch offensichtlich, dass er sich was antun wollte!?« Möglichst unauffällig beobachtete ich Robins Vater von der Seite, wie er darauf reagieren würde. Er stellte sich jetzt noch dichter neben mich und starrte ebenfalls nach unten, die Hände wie zum Gebet gefaltet.
    Dieser Heuchler!
    »Nein, du bist nicht schuld. Was soll ich denn da sagen!? Ich hatte als Einziger die Chance, Robin von seinem Selbstmord abzubringen, wenn es denn wirklich einer war. Ich hätte ihn auf jeden Fall retten können und hab im entscheidenden Moment versagt.« Er seufzte. »Und es trifft mich natürlich tief, dass Mike mich für Tsunami hält, denn ich bin es nicht. Niemand weiß, wen er damit gemeint hat. Ich dachte eigentlich, Mike und ich hätten uns ein bisschen angefreundet.«
    »Mike hat behauptet, dass Robin ihm das anvertraut hat«, flunkerte ich.
    »Quatsch, das hätte Robin nie, nie, nie gesagt.« Das kam eine Spur zu schnell und zu heftig. »Als hätte ich es nicht schon schwer genug. Ich mach mir wirklich Vorwürfe wegen meiner Experimente.«
    Heul doch, ich glaub dir sowieso nicht!, giftete ich innerlich. »Trotzdem«, schluchzte ich. Es fiel mir nicht schwer, Tränen vorzutäuschen. Mein Schuldgefühl war immer noch da und in Gedanken konnte ich mich gut noch weiter hineinsteigern.
    Er legte seinen Arm um mich, was ich nur schwer erdulden konnte, und wiegte mich tröstend hin und her: »Mach es dir nicht so schwer. Alles im Leben hat seinen Sinn.« Es klang, als würde er es tatsächlich ernst meinen. »Man darf nur nie aufhören, das eigene Leben zu gestalten, und muss daran glauben, es beeinflussen zu können. Man muss sich mächtig und wirksam fühlen, ab und zu jedenfalls.« Auch das klang ehrlich und ich konnte sogar was damit anfangen.
    »Ich hätte Robin so gern beigebracht, wie das geht – ohne andere zu belästigen, zu erpressen oder unter Druck zu setzen. Ich hab’s versucht, aber es hat nicht funktioniert. Er hat leider nur von der Schattenseite meiner Spiele gelernt.«
    Okay, was war das jetzt wieder? Der Wolf im Schafsfell!
    »Weil Mike und ich und die anderen nicht mitgespielt haben.« Das meinte ich jetzt ernst.
    »Stimmt, man will immer bei den Menschen am meisten erreichen, die man mag. Und am schlimmsten ist es bei denen, die man liebt, die man haben will.«
    »Dass man so viel Macht über einen anderen Menschen haben kann, indem man ihn entweder liebt oder nicht«, sagte ich nachdenklich und hoffte in dem Moment, mich niemals unsterblich, aber unglücklich in jemanden zu verlieben.
    »Tja, wo fängt die eigene Verantwortung für den anderen an? Wie weit muss unser
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