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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz
Autoren: John Updike
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Stäm men stöckernde Zweige haben es auf seine Augen abgesehen. Sein Gesicht und seine Hände brennen von den vielen Schrammen. Er sieht sich um, ob er die Meute endlich hinter sich gelassen hat. Niemand folgt ihm mehr. Weit weg, durch eine winzige Lücke am Ende des Kiefern doms, in dem er steht, schimmert ein Grün, das vielleicht zum Friedhof gehört, aber es kommt ihm ebenso weit entfernt vor wie die Himmelsfetzen, die er oben zwischen den Baumkronen blauen sieht. Jetzt hat er ein wenig die Orientierung verloren, weil er sich umgedreht hat. Aber die Baumstämme ziehen sich in so säuberlichen Reihen hin, daß er gar nicht anders kann als immer weitergehen zwischen ihnen, und der Erdboden führt ihn immer höher bergan. Wenn er weit genug hinauf steigt, wird er nach einer Weile auf die Höhenstraße stoßen, die am Grat entlangführt. Nur, wenn er bergabwärts sich wendet, wird er zurück kehren zu den andern.
    Die Bäume hören auf, in Reihen zu marschieren, sie drängen sich enger zusammen. Das sind jetzt ältere. Das Dunkel unter ihnen ist dichter, und der Boden wird steiler. Steine spitzen durch die Nadeldec ke, räudig von Flechten; gestürzte Stämme verschränken sich ineinander wie Riesenklauen, die Rabbit den Weg versperren. An Stellen, wo im immergrünen Dach eine breite Lücke gerissen ist, wuchern Beerensträucher und gelbes Gras in hastigem, süß duftendem Durcheinander. Und diese Sonnenlöcher, die zuweilen weit genug sind, das Licht auch dann noch einzulassen, wenn es schräg über den Berghang streicht, machen das Dunkel ringsum noch dunkler, und als er auf einer solchen Lichtung innehält in seinem Lauf, nimmt er am jähen Verstummen das Flüstern wahr, das rings um ihn in den braunen Tunneln webt. Dichte Mückenschwaden stehen im Sonnenlicht über diesen kleinen Lichtun gen. Die umstehenden Bäume sind zu mächtig, Rabbit kann nirgendwo ein Zeichen der Zivilisation sehen, nicht einmal ein beackertes Feld in der Ferne. Er bekommt Angst auf dieser Lichtinsel: er ist von allen Seiten zu sehen, die Bären und namenlosen Ungeheuer, die im Wald flüstern, können ihn von allen Seiten sehen. Und bevor er länger so lichtumflossen hier stehenbleibt, stürzt er sich lieber mitten hinein in die Drohung; er stolpert über die Steinbrocken und faulenden Stämme und glatten Nadeln. Die Mücken folgen ihm aus der Sonne nach: sein Schweiß ist ein anziehender Duft. Die Brust ist ihm verklemmt, und seine Schienbeine schmerzen, weil er so oft in Erdlöchern steckenge blieben und gegen Steine gestoßen ist, die unter der Nadeldecke verbor gen sind. Er zieht das Jakett aus, rollt es zusammen und trägt es so. Er muß gegen den Drang ankämpfen, sich dauernd umzusehen, was hinter ihm ist. Aber da ist nichts, nur das stumme, tote Leben der Bäume; seine Angst nur bevölkert die gewundenen Zwischenräume zwischen den Stämmen mit flinken, behenden Gefahren; jedesmal, wenn er den Kopf herumwirft, springen sie aus seinem Augenwinkel dorthin. Er muß den Kopf starr geradeaus richten. Er tyrannisiert sich. Als Junge ist er oft hier oben gewesen, im Wald. Aber vielleicht hat er als Junge so etwas wie einen Schutzengel gehabt, der ihm jetzt davongeflogen ist. Er kann nicht glauben, daß die Bäume damals auch so finster gewesen sind. Sie sind gewachsen, wie er. Diese widernatürliche Dunkelheit, durch fingert von spinnendürren Zweigen, die ihm unaufhörlich nach dem Gesicht greifen, diese Dunkelheit, die sich nicht im mindesten darum schert, daß überall sonst helles Tageslicht herrscht und ein Himmel über allem ist, der in zerfransten Sprüngen von Wipfel zu Wipfel hüpft wie ein blauer Affe.
    Das Kreuz tut Rabbit weh vom vielen Bücken. Zweifel kommen ihm, ob es richtig war, was er getan hat. Als Junge hat er den Wald niemals von der Friedhofseite aus angegangen. Vielleicht ist es ganz dumm, den Berg von seiner steilsten Seite zu nehmen, vielleicht geht er schon lange unmittelbar unterhalb des Grates entlang, und irgendwo links läuft die Straße. Er wendet sich nach links, versucht, sich in einer geraden Richtung zu halten. Ihm ist, als werde das Flüstern der Bäume plötzlich lauter, und sein Herz weitet sich hoffnungsvoll: er hat recht gehabt, die Straße ist ganz nah. Er hastet weiter, ist ganz erbarmungslos gegen sich selbst, denkt bei jedem Schritt, jetzt werde sie auftauchen, die Straße, mit ihren weißen Pfosten und vorbeiflitzendem Metall. Er merkt es nicht, daß der Erdboden aufhört anzusteigen unter
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