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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz
Autoren: John Updike
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diese Bresche in ihrer Kälte zunutze und schiebt sie in die Wohnung hinein. Ihre Arme und ihr Sweater geben nach wie kleine Kissen, als er sie sanft vor sich herstößt. «Wunderbar», wiederholt er und schließt die Tür. Er will sie in die Arme nehmen, aber es gelingt ihr, ihn zurückzuschlagen und hinter einem Stuhl Deckung zu nehmen. Es ist ihr Ernst gewesen mit dem Schlag: sein Hals ist zerkratzt.
    «Geh weg», sagt sie. «Geh weg!»
    «Brauchst du mich denn nicht?»
    «Dich brauchen!» schreit sie, und er zuckt zusammen bei dem angespannten, hysterischen Klang ihrer Stimme. Er merkt, sie hat sich diese Begegnung so oft ausgemalt, daß sie jetzt entschlossen ist, alles zu sagen, was es zu sagen gibt, und das ist in jedem Fall zuviel. Er setzt sich in einen Sessel. Seine Beine tun weh. Sie sagt: «Ich hab dich in der Nacht damals gebraucht, als du weggingst. Weißt du noch, wie sehr ich dich gebraucht habe? Weißt du noch, was du mit mir gemacht hast?»
    «Sie war in der Klinik», sagt er, «ich mußte gehn.»
    «Gott, nein, bist du rücksichtsvoll. Wirklich aufopfernd. Du muß test gehn. Aber du mußtest auch bleiben! Und ich war so dumm zu glauben, du würdest wenigstens anrufen.»
    «Ich wollte anrufen, aber ich wollte auch versuchen, alles ins reine zu bringen. Ich wußte ja nicht, daß du ein Kind bekommst.»
    «Du wußtest das nicht – wieso nicht? Jeder andere hätte es längst gewußt. Mir war doch elend genug.»
    «Wann, als ich noch da war?»
    «Mein Gott, ja. Wann wirst du endlich mal nicht nur dich selber sehn, sondern auch andere?»
    «Warum hast du mir bloß nichts gesagt?»
    «Warum hätte ich dir’s sagen sollen? Was hätte das genützt? Du bist keine Hilfe. Du bist eine Null. Weißt du, warum ich's nicht gesagt habe? Du wirst lachen, ich hab's nicht gesagt, weil ich dachte, du würdest weglaufen, wenn du's weißt. Du würdest niemals erlauben, daß ich was dagegen unternehme, aber wenn's erst mal gesagt ist, hab ich gedacht, dann würdest du mich sitzenlassen. Du hast mich sowieso sitzenlassen, also wozu das Ganze? Warum verschwindest du nicht? Bitte, geh. Ich hab dich damals schon gebeten zu gehn. Gleich in der verdammten ersten Nacht hab ich dich gebeten. Warum bist du noch hier?»
    «Ich möchte hier sein. Es ist richtig so. Sieh mich an. Ich bin glücklich darüber, daß du ein Kind kriegst.»
    «Es ist zu spät, um darüber glücklich zu sein.»
    «Wieso? Wieso ist es zu spät?» Er erschrickt, er denkt daran, daß sie nicht da war neulich, als er läutete. Heute ist sie da, neulich war sie nicht da. Frauen fahren weg, um es erledigen zu lassen, weiß er.
    «Wie kannst du da sitzen?» fragt sie. «Ich kann nicht verstehn, wieso du da sitzt. Du hast gerade dein Baby umgebracht und sitzt da.»
    «Wer hat dir das erzählt?»
    «Dein Pfarrerfreund. Dein Mitheiliger. Er hat vor einer halben Stun de ungefähr angerufen.»
    «Mein Gott, er versucht es immer noch.»
    «Ich hab gesagt, du wärst nicht hier. Ich hab gesagt, du würdest auch nie herkommen.»
    «Ich hab den armen Wurm nicht umgebracht. Janice hat es getan. Ich hab eine Nacht die Nase voll gehabt von ihr und bin weggegangen und wollte zu dir kommen, und da hat sie sich betrunken und das Baby in der Badewanne ersäuft. Ich möchte nicht darüber reden. Wo warst du übrigens?»
    Sie sieht ihn starr vor Verwunderung an und sagt leise: «Du hast wirklich etwas vom Tod an dir.»
    «He, hast du was unternommen?»
    «Sei still. Bleib still da sitzen. Ich seh dich plötzlich ganz klar. Du bist der Tod selbst. Du bist nicht nur nichts, du bist weniger als nichts. Du bist keine Ratte, du stinkst nicht, du bist nicht mal so viel, daß du stinken kannst.»
    «Hör zu, ich hab doch überhaupt nichts getan. Ich war hier, um dich zu sehn, als es passiert ist.»
    «Nein, du tust nichts. Du läufst nur herum und trägst den Tod bei dir. Geh weg. Rabbit, es ist mir ganz ernst: mir wird übel, wenn ich dich sehe.» Sie erschrickt selbst, wie ehrlich sie das meint; sie schwankt und greift hastig nach der obersten Querleiste eines Stuhls, der mit einem verblichenen geblümten Stoff, einem alten holländischen Muster, ge polstert ist.
    Und er, Harry, dessen Stolz es immer gewesen ist, sich gut anzuzie hen, er, der immer gedacht hat, daß er einen erfreulichen Anblick bietet, er wird rot, als er merkt, daß sie meint, was sie sagt. Er hat darauf gezählt, daß er sich ganz selbstverständlich wieder als ihr Herr fühlen wird, sie sich wieder zu eigen machen
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