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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz
Autoren: John Updike
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seinen Füßen. Ganz vernichtet findet er sich plötzlich am Rand einer abschüssigen Grube, deren andere Seite mit den behaarten Rümpfen toter Bäume bestanden ist; entwurzelte Stämme lehnen sich dagegen, die es fertiggebracht haben, sich aufrecht zu halten an der steilen Kante, und die einen Schatten in die Grube werfen, der so tief ist wie das Zwielicht, kurz bevor es verlöscht. Etwas Rechteckiges ist im Dämmer unten zu sehen. Und Rabbit erkennt, daß auf dem Grund dieser Ausschachtung der Keller und die verwitterten Sandsteinfesten eines einstigen Hauses liegen. Zu seinem schrillen Verdruß, daß er vermutlich von seiner Richtung abgekommen und wieder bergab gegangen ist, gesellt sich ein dröhnendes Entsetzen; als schlage dies verwitterte Zeugnis vom menschlichen Vorstoß in diese Welt blinden Lebens eine Glocke an, die bis ans Ende des Universums zu hören ist. Der Gedanke, daß es hier einmal Menschen gab, daß dies Land begangen war, bestellt und ver traut, schwärzt die Luft mit Gespenstern, die über den farnbewachse nen Grubenrand kriechen wie Kinder aus einem Grab. Vielleicht hat es Kinder hier gegeben, stramme Mädchen in Kattunschürzen, die Wasser holten von einer nahen Quelle, die Bäume zähmten, sie verwundeten mit spielerischen Einritzungen, Mädchen, die alt wurden auf den Holz bohlen über dem Keller, die starben mit einem letzten Blick durchs Fenster auf die Böschung, auf der Harry jetzt steht. Er fühlt sich ausgesetzter und wehrloser hier als auf der kleinen Sonnenlichtung vorhin; unklar hat er das Gefühl, von einem mächtigen Funken er leuchtet zu sein, von dem Funken, mit dessen Hilfe das blinde Gewirr der Materie sich selbst erkennt, dieser Funke, der aufstiebt, wenn zwei einander entgegengesetzte Bereiche kollidieren – in einem Zusammen prall, den ein schrecklicher Gott gewollt hat. Der Magen dreht sich ihm um. Seine Ohren scheinen sich plötzlich dem Klang einer Stimme zu öffnen. Er strauchelt zurück, weiter den Berg hinauf, ins tiefer werden de Dunkel hinein, um die Stimme auszusperren, die ihm zuschreien will aus einem Mund, der von Baum zu Baum flitzt in den Schatten. Immer weiter rennt er gegen den steigenden Boden an, immer höher hetzt er hinauf im verräterischen Licht, immer höher auf dem steigenden festen Erdboden, ein fliehendes, gekrümmtes Etwas.
    Die Helligkeit reicht aus, daß er zu seiner Rechten ein Gelege aus alten Blechbüchsen und Flaschen erkennt, das tief in den Nadeln nistet, und dann steht er an der Straße. Er schwingt seine langen Beine über das Begrenzungsgitter und reckt sich. Goldene Flecken gehen an und aus in seinen Augenwinkeln. Der Asphalt knirscht unter seinen Schuhen, und ihm ist, als sei er, mit der wunderbaren hallenden Hohlheit der Er schöpfung, in ein neues Leben getreten. Ein kalter Luftzug streicht gegen seine Schulterblätter. Irgendwo im Dickicht ist ihm das Hemd des alten Springer der Länge nach am Rücken aufgerissen. Ungefähr einen Kilometer unterhalb des Gipfel-Hotels hat er den Wald verlassen. Als er so dahinschlendert, das blaue Jackett über die Schulter geworfen und einen Finger in die Aufhängeröse verhakt, ist ihm, als seien Janice und Eccles und seine Mutter und seine Sünden tausend Meilen weit hinter ihm. Er beschließt, Eccles anzurufen, so, wie man denkt, man müßte diesem oder jenem eine Postkarte schreiben. Eccles hat ihn gemocht und hat eine Menge Vertrauen in ihn gesetzt, er verdient zumindest einen Anruf. Rabbit legt sich zurecht, was er sagen will. «Es ist alles in Ordnung», wird er ihm sagen, «ich bin auf dem richtigen Weg. Ich will damit sagen, es gibt mehrere Wege. Machen Sie sich keine Sorgen. Danke für alles.» Er möchte erreichen, daß Eccles nicht so entmutigt wird.
    Oben auf dem Berg ist noch immer heller Tag. Im Meer des Himmels tummeln sich zerpflückte Schäfchenwolken wie ein Schwarm Fische. Nur wenige Autos stehen um das Hotel herum, lauter ausrangierte Kisten: zweiundfünfziger Pontiacs und einundfünfziger Mercedeswagen, wie sie im Springer-Laden an diese lausigen Bengel verscheuert werden, die reinkommen, Kondome in der Brieftasche und hundert Dollar auf der Bank. Drinnen, in der Cafestube, lungern etliche von dieser Sorte herum und sind mit irgendeinem Spielautomaten beschäftigt, den man nennt. Sie sehen ihn an und machen wissende Gesichter unter ihrem langen Haar, und einer von ihnen ruft ihm sogar zu: «Na, hat sie dir das Hemd zerrissen?» Aber, merkwür dig, in
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