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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz
Autoren: John Updike
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wird, aber er hat sich verrechnet. Er sieht auf seine Fingernägel, auf die großen Monde. Seine Hände und Beine sind von einem lähmenden Gefühl für die Realität durchflutet: sein Kind ist wirklich tot, seine Zeit ist wirklich dahin, diese Frau ist wirklich angewidert von ihm. Und als er realisiert, daß diese Frau wirklich angewidert ist von ihm, möchte er dieses Gefühl ganz ausko sten, möchte er vollends gegen die Wand gedrückt werden. «Hast du eine Abtreibung vornehmen lassen?» fragt er mit flacher Stimme.
    Sie grinst und fragt heiser zurück: «Was glaubst du denn?»
    Er schließt die Augen, und das rauhe, körnige Fell des Bezugsstoffes auf der Sessellehne sträubt sich gegen seine Fingerspitzen, und er betet: Ein schmutziges Messer bohrt sich in die verschlungene Finsternis in seinem Innern. Als er die Augen öffnet, erkennt er an der lauernden Art, wie sie dasteht und versucht, möglichst überlegen drein zusehen, daß sie ihn quälen will. Seine Stimme spitzt sich zu vor Hoffnung: «Hast du was unternommen?»
    Die Haltung ihres Gesichts zerbröckelt. «Nein», sagt sie, «nein. Ich sollte es tun, aber ich hab es nicht getan. Ich will es nicht tun.»
    Mit einem Satz ist er bei ihr, und seine Arme schlingen sich um sie, ohne sie zu drücken, wie ein Zauberring, und obschon sie sich gegen ihn stemmt und den Kopf wegdreht auf dem muskulösen weißen Hals, hat er doch das Gefühl wiedererlangt, ihr Herr zu sein. «Oh, wie gut», sagt er. «Wie gut.»
    «Es war zu scheußlich», sagt sie. «Margaret hatte schon alles arran giert, aber ich – dachte immerzu an –»
    «Ja», sagt er, «ja. Du bist so brav. Ich bin so froh», und er reibt sein Gesicht an ihrer Wange. Seine Nase ist naß. «Du mußt es kriegen», bittet er schluchzend, «du mußt es kriegen.» Sie ist ganz still einen Augenblick, starrt auf ihre Gedanken, dann reißt sie sich los aus seinen Armen und sagt: «Faß mich nicht an!» Ihr Gesicht flackert, ihr Körper ist nach vorn gereckt wie der eines erschreckten Tieres. Als bringe seine Berührung wirklich den Tod.
    «Ich liebe dich», sagt er.
    «Das besagt nichts, aus deinem Mund. Krieg es, krieg es, sagst du. Bitte, wie? Willst du mich heiraten?»
    «Ich würde es liebend gern tun.»
    «Liebend gern, du würdest alles mögliche liebend gern tun. Was ist mit deiner Frau? Was ist mit dem Jungen, den du noch hast?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Willst du dich von ihr scheiden lassen? Nein. Du bist liebend gern auch mit ihr verheiratet. Du wärst liebend gern mit allen verheiratet. Warum kannst du nicht einmal entscheiden, was du willst?»
    «Kann ich mich nicht entscheiden? Ich weiß nicht.»
    «Wie willst du mich ernähren? Wieviel Frauen kannst du eigentlich ernähren? Deine Stellungen sind ein Witz. Du bist es nicht wert, daß man dich anstellt. Mag sein, daß du mal Basketball spielen konntest, aber jetzt taugst du zu nichts mehr. Wie zum Kuckuck stellst du dir das Leben eigentlich vor?»
    «Bitte, behalt das Baby», sagt er. «Du mußt es behalten.»
    «Warum? Was geht dich das an?»
    «Ich weiß nicht. Ich weiß auf alle diese Fragen keine Antwort. Alles, was ich weiß, ist, daß ich ein richtiges Gefühl habe. Bei dir hab ich ein richtiges Gefühl. Manchmal hatte ich es auch bei Janice. Manchmal hab ich es bei nichts.»
    «Wen interessiert das? Das ist es nämlich, wen interessieren deine Gefühle?»
    «Ich weiß nicht», sagt er wieder.
    Sie stöhnt, er denkt, sie werde spucken, so sieht sie aus, sie dreht sich um und sieht auf die Wand, die ganz holprig ist vom ständigen Über tünchen der alten, abblätternden Anstriche.
    «Ich hab Hunger», sagt er. «Soll ich nicht in den Laden rübergehn und ein bißchen was zum Essen holen? Dann können wir weiter überlegen.»
    Sie dreht sich wieder zu ihm, ruhiger jetzt. «Ich bin fertig mit dem Überlegen», sagt sie. «Du willst wissen wo ich war, als du neulich herkamst? Ich war bei meinen Eltern. Ich hab nämlich Eltern. Sie sind ziemlich erbärmlich, aber immerhin Eltern. Sie wohnen in West-Bre wer. Sie wissen alles. Ich meine, sie wissen einiges. Sie wissen, daß ich schwanger bin. Schwanger, das ist ein hübscher Ausdruck, jedem kann’s zustoßen, man braucht gar nicht viel darüber nachzudenken, was man anstellen muß, um dahin zu kommen. Ich würde dich gern heiraten. Ich würde es tun. Was auch immer ich eben gesagt habe: wenn wir heiraten, gilt das
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