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Die Bestie von Florenz

Die Bestie von Florenz

Titel: Die Bestie von Florenz
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Einleitung
    1969, in dem Jahr, als der Mensch auf dem Mond landete, verbrachte ich einen unvergesslichen Sommer in Italien. Ich war dreizehn Jahre alt. Meine Familie mietete eine Villa an der toskanischen Küste, die auf einem Kalksteinfelsen über dem Mittelmeer lag. Meine beiden Brüder und ich trieben uns den ganzen Sommer lang bei einer archäologischen Ausgrabungsstätte herum und schwammen an einem kleinen Strand im Schatten einer Burg aus dem 15. Jahrhundert, genannt Puccinis Turm, weil der Komponist hier Turandot geschrieben hatte. Wir grillten Tintenfisch am Strand, schnorchelten zwischen den Riffen und sammelten uralte römische Tesserae, die das erodierende Ufer freigab. In einem nahen Hühnerstall fand ich den Rand einer römischen Amphore, zweitausend Jahre alt, mit dem Stempel »SES« und der Abbildung eines Dreizacks versehen – die Archäologen sagten mir, das Stück habe der Familie Sestius gehört, einer der reichsten Kaufmannsfamilien der frühen römischen Republik. In einer stinkenden Bar beobachteten wir auf einem flackernden alten Schwarzweiß-Fernseher, wie Neil Armstrong den Mond betrat, während um uns herum ein Tumult losbrach. Die Hafenarbeiter und Fischer fielen sich in die Arme und küssten sich, Tränen liefen ihnen über die rauhen Gesichter, und sie schrien: »Viva l’America! Viva l’America!«
    Von jenem Sommer an wusste ich, dass ich später in Italien leben wollte.
    Ich wurde Journalist und Krimiautor. 1999 kehrte ich im Auftrag des Magazins The New Yorker nach Italien zurück. Ich wollte einen Artikel über den mysteriösen Künstler Masaccio schreiben, der mit seinen beeindruckenden Fresken in der Brancacci-Kapelle in Florenz die Renaissance einleitete und im Alter von sechsundzwanzig Jahren starb – angeblich wurde er vergiftet. An einem kalten Februarabend, in meinem Hotelzimmer in Florenz mit Blick auf den Arno, griff ich zum Telefon, rief meine Frau Christine an und fragte sie, was sie von der Idee hielt, nach Florenz zu ziehen. Sie sagte ja. Am nächsten Morgen rief ich einen Immobilienmakler an und begann, mir Wohnungen anzusehen, und zwei Tage später hatte ich das oberste Stockwerk eines Palazzos aus dem 15. Jahrhundert gemietet. Als Schriftsteller konnte ich schließlich überall leben – warum nicht in Florenz?
    Während ich in jener kalten Februarwoche durch Florenz streifte, dachte ich schon über den Krimi nach, den ich schreiben würde, wenn wir hierhergezogen waren. Er würde in Florenz spielen und sich um ein verlorenes Gemälde von Masaccio drehen.
    Wir zogen also nach Italien. Christine und ich trafen am 1. August 2000 mit unseren Kindern Isaac und Aletheia, fünf und sechs Jahre alt, in Florenz ein. Erst wohnten wir in der Wohnung an der Piazza Santo Spirito, die ich gemietet hatte, und dann zogen wir aufs Land, in einen winzigen Ort namens Giogoli in den Hügeln südlich von Florenz. Dort mieteten wir ein altes Bauernhaus, versteckt an einer Hügelflanke am Ende eines Feldwegs und umgeben von Olivenhainen.
    Ich begann mit der Recherche für meinen Roman. Da es ein Krimi werden sollte, musste ich so viel wie möglich über die italienische Polizei und ihre Arbeitsweise bei Ermittlungen in Mordfällen herausfinden. Ein italienischer Freund empfahl mir einen legendären toskanischen Kriminalreporter namens Mario Spezi, der mehr als zwanzig Jahre lang für La Nazione , die Tageszeitung der Toskana und Mittelitaliens, die cronaca nera (»schwarze Geschichte« oder Kriminalreportage) geliefert hatte. »Er weiß mehr über die Polizei als die Polizei selbst«, wurde mir gesagt.
    So fand ich mich also im fensterlosen Hinterzimmer des Caffè Ricchi an der Piazza Santo Spirito wieder, und mir gegenüber saß Mario Spezi persönlich.
    Spezi war ein Journalist der alten Schule, trocken, klug, zynisch und mit einem starken Sinn für alles Absurde. Ganz gleich, was ein menschliches Wesen tat, und sei es noch so verderbt – nichts konnte diesen Mann überraschen. Er hatte dichtes graues Haar, ein ironisches, angenehmes, wettergegerbtes Gesicht mit klugen braunen Augen, die hinter einer Goldrandbrille lauerten. Er lief in einem Trenchcoat und einem Bogart-Hut herum wie eine Figur aus einem Roman von Raymond Chandler, und er war ein großer Fan des amerikanischen Blues, des film noir und von Philip Marlowe.
    Die Kellnerin brachte ein Tablett mit zwei schwarzen Espressi und zwei Gläsern Mineralwasser. Spezi atmete eine Rauchwolke aus, hielt seine Zigarette ein wenig
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