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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule
Autoren: Christine Lehmann
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wie den Staatsanwalt, der gegen Sie ermittelte wegen Kindesmissbrauchs? Und haben Sie deshalb auch Ihren eigenen Schwager ermorden lassen, wobei Sie in Kauf genommen haben, dass Ihre eigene Schwester und deren Sohn mit in die Luft fliegen? Mein Gott, was sind Sie nur für ein Mensch? Was sind Sie für ein Mensch?«
    Ich sah eiskalte Verachtung im Augenwinkel des Pressesprechers, während Bollach in seinen Sitz sank und sich röchelnd räusperte.
    »Das entspricht so keinesfalls der Wahrheit. Ich …«
    »Die Wahrheit, die Wahrheit!«, schrien die Journalisten.
    Bollach fuhr auf. »Ihr Arschdackel, glaubt ihr, ich würde jemanden umbringen, und dazu noch meine eige ne Schwester! Ich sage Ihnen klipp und klar, ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Ich soll unmündige Jungs missbraucht haben? Missbraucht, dass ich nicht lache! Gebalgt haben sie sich darum, die hat keiner gezwungen. Sie haben doch keine Ahnung von der Jugend von heute. Gehen Sie mal in die Schulen, meine Herren. Da können vielleicht sogar Sie noch was lernen, wie da gefeilscht, betrogen, abgezockt und herumgefickt wird. Geld und Sex, das ist alles, was die Bälger interessiert. Das ist die Wahrheit! Aber was red ich überhaupt? ’s wird einem ja sowieso jedes Wort in der Gosch rum- und num’dreht. Scheiß drauf. Ich trete zurück!«, schrie er.
    Ich raunte dem Kameramann von RTL zu: »Und jetzt raus auf den Parkplatz, wenn ihr die Festnahme filmen wollt.«
    »Was?« Ein anderer Journalist fuhr herum, und im Nu flutete das Gerücht, es werde eine Verhaftung geben, den Saal, der sich unter panikartigem Getümmel leerte, noch ehe Bollach mit Gefolge durch die Tür am Rednerpult hinaus war. Es wimmelte von Journalisten im Treppenhaus, Kamerateams stürmten die Fahrstühle, durch Kabel aneinandergekettet, oder holperten die Treppen hinab. In alle Richtungen Gerenne, Umkehr, nervöses Geschrei. Unten um den Landtag herum, wildes Gesuche nach einem Hinterausgang. Manche warfen sich unter Lebensgefahr zwischen die Autos, um die Stalin-Allee zu überqueren, hinüber zum Haus der Abgeordneten, das durch einen Tunnel mit dem Landtag verbunden war.
    Ich hakte mich bei Isolde unter, und wir machten uns unbeachtet am Eckensee vorbei Richtung U-Bahn-Haltestelle davon.
     
    Der Landtag trat zu einer Sondersitzung zusammen und hob Bollachs Immunität auf. Um fünf war alles erledigt und die Kollegen sprangen an die Schreibcomputer.
    Ich stieg zu Karin Becker hinab. Sie schickte den Ar chivvolontär in den Feierabend und nahm sich Zeit, dem zuzuhören, was ich mir von der Seele reden musste. Sie begegnete jeder Widerlichkeit und Unfassbarkeit mit einem beruhigenden Repertoire an konventionellen Worten des Mitgefühls und Beileids.
    Gegen sieben platzte Richard mit wehendem Mantel herein. »Hast du schon mit Elsäßer gesprochen?«, fragte er.
    »Das ließ sich nicht vermeiden. Habt ihr Bollach?«
    »Nach diesem öffentlichen Geständnis? Der sitzt erst mal. Guten Abend übrigens, Frau Becker, entschuldigen Sie, dass ich hier einfach so … Er ist nicht mehr in seinem Büro.«
    »Wer?«, fragte ich.
    »Elsäßer! Von wem reden wir denn?«
    »Elsäßer? Wieso? … Ach du meine Scheiße! Elsäßer!«
    Beckers Archivaugen glühten unterdes neugierig eine blaue Pappmappe ab, die Richard unterm Arm trug und die er jetzt, sich plötzlich erinnernd, in beide Hände nahm. »Übrigens, das ist für dich.«
    Mein Dossier. »Frau Becker«, sagte ich, »würden Sie das bitte einstweilen für mich aufbewahren?«
    Richard schluckte, während die Hände der Archivarin den Pappendeckel mit züchtiger Begierde umwoben.

27
     
    »Nur hereinspaziert«, rief Elsäßer. »Gute Freunde sind immer willkommen, vor allem, wenn es was zu feiern gibt. Margot! Komm mal! Schau, wer da ist.«
    Im Wohnzimmer liefen die Regionalfernsehnachrichten und spulten die Highlights des Tages ab. Bollachs hängende Visage, Isoldes glasklare und blonde Redlichkeit, Bollachs öffentliches Harakiri und dann seine Fest nahme vor dem Landtag unter all den Pressegeiern. Ri chard hatte den Minister nicht geschont.
    Während Elsäßer ein edles Tröpfchen holen ging, trat Margot Müller-Elsäßer schmal und schwarz gekleidet ein. Sie sah nach Kopfschmerzen aus, stellte den Fernseher ab und holte Weinkelche aus der Vitrine. Richard erkundigte sich nach einer Ausstellung, die sie plante. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass er mal was mit ihr gehabt hatte oder hatte haben wollen. Es war die Art, wie sie sich
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