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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule
Autoren: Christine Lehmann
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surfte durch die Agenturmeldungen. Der Duft von Laura Biagottis Venezia harmonierte mit einem orangeroten Leinenblazer, einer beigefarbenen Seidenbluse und einem braunen Wickelrock mit orangeroten Streifen. Sie war blond. Auf dem Näschen saß ein randloses Titanmodell. Sie war hochintelligente unter dreißig, und ich hatte sie jetzt für einen Monat am Hals.
    »Was wissen Sie über das Paul-Häberlin-Gymnasium?«
    »Paul Häberlin«, sagte sie, »war ein Pädagoge und Philosoph, ein Existenzialist. Er entwickelte eine Ontologie von Individualität …«
    »Was auch immer das ist.«
    Isoldes Augenbrauen rutschten hoch. »Ontologie? Die Lehre vom Sein.«
    »Ich meine Individualität.«
    Sie lächelte spöttisch. Als ich nach meiner Lederjacke griff, nahm sie einen karamellfarbenen Kamelhaarmantel vom Haken.
    »Und wo wollen Sie hin?«, erkundigte ich mich.
    »Ich dachte, wir …«
    »Wissen Sie, was eine Blondine mit zwei Gehirnzellen ist?«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Schwanger.«
    Hinter den entspiegelten Gläsern brodelte blaues Gift. Ich meldete uns im Sekretariat zur Recherche ab und hielt meiner schönen, verstockten Begleiterin die Türen auf, die sich uns auf dem Weg zum Parkplatz entgegenstellten. Ihr »Danke« klang wie Zitronenbonbons mit Vitamin-C-Zusatz.
    Die Büsche, die kostbaren Parkplatz wegnahmen, wa ren wie verglast. Von jedem Blatt schmolz tropfend das Eis, um auf dem Asphalt sofort wieder zu gefrieren. Isolde rutschte. »Der da?«
    »Darf ich vorstellen«, sagte ich, »das ist Brontë. Und das ist Isolde.«
    Isolde lutschte an einem kleinen Lächeln, durchaus anerkennend. Brontë wirkte weniger begeistert. Sie war ein vierzig Jahre alter Porsche 356 B 1600 Super 90 – hochzeitsweiß mit nuttenroten Ledersitzen –, den ich mir hatte zulegen müssen, nachdem Emma, mein Golf Cab rio, an einem Apfelbaum bei Reutlingen an der Schwäbischen Alb ihr Leben ausgeknistert hatte. Ich hätte mir auch ein fabrikneues Cabrio leisten können, aber ich ha be ein Faible für alte Damen. Auch wenn Brontë grätig war wie eine alte Katze. Erst wollte sie die Tür nicht öffnen, dann nadelte sie uns Kaltluft ins Gesicht. Isolde raffte den Kamelhaarmantel und überlegte laut: »Brontë? Nach welcher der drei Brontë-Schwestern ist die hier benannt?«
    »Keine Ahnung. Sie verrät mir ihren Vornamen nicht. Aber vielleicht haben Sie ja mehr Glück.«
    Isoldes titanleichter Brillenblick rasterte mein Profil, legte es unter der Rubrik ›mutwillig originell bis verrückt‹ ab und resümierte: »Mein Freund legt seinen Oldtimer im Winter still. Einen Benz.«
    Ich gab Brontë die Hundert auf der Schnellstraße nach Degerloch. Das intelligente Verkehrsleitsystem suggerierte sonniges und trockenes Wetter. Stuttgart eiste unter grauen Wolkenschichten zwischen entlaubten Hängen im Talkessel. Wir mussten längs hindurch, vom Südwesten in den Norden. Münster liegt hinter der Müllverbren nungsanlage, eingequetscht zwischen Bahnlinie und Neckar und nördlich beschnitten vom Schnarrenberg. Hier wurde eifrig und eng gewohnt. Es gab eine Bankfiliale, eine Post, eine Apotheke, ein Rathaus, aber kein Zentrum. Das Paul-Häberlin-Gymnasium gruppierte seine dreigeschossigen Plattenbauten oben an der Bahnlinie um einen Lehrerparkplatz und einen kleinen Schulhof. Das Aufgebot an Polizeiautos hatte etliche Anwohner zu einem spontanen Gang zum Bäcker animiert.
    Die Glastür des Haupteingangs hatte einen Sprung. Der Geruch nach feuchten Jacken, Turnschuhen und Putzmitteln weckte tief sitzende Beklemmungen. Wenn unsereiner früher durch menschenleere Schulgänge eilte, dann war etwas schiefgegangen. Andernfalls saß man hinter den Türen im Unterricht oder rempelte durch Pausenmassen.
    Ich steuerte die Treppe an. Lehrerzimmer und Rekto rat lagen immer irgendwo oben. Grünpflanzen in einem Hydrokübel mit Sitzgruppe im zweiten Stock zeigten an, wo Eltern zu warten hatten, die zur Lehrersprechstunde erschienen. Das Lehrerzimmer verwehrte Unbefugten den Zutritt mit einem Türknauf. Das Rektorat hatte jetzt, zwischen den Pausen, etwas von Pausenstimmung. Am Tisch hinter der Holztheke trank eine voluminöse Sekretärin mit gespitzten Lippen und abgespreiztem kleinem Finger Kaffee aus einer Mokkatasse. Sie suchte den Blick durch beschlagene Brillengläser.
    »Guten Morgen«, sagte Isolde. »Wir sind vom Stutt garter Anzeiger. Könnten wir wohl den Herrn Rektor sprechen?«
    »Der hat anderes zu tun.«
    »Dürfen wir dann hier auf Herrn Otter
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