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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule
Autoren: Christine Lehmann
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glomm ein blauer Funke auf. Sie wollte meinen Job nicht, aber sie war entschlossen zu beweisen, dass sie ihn eher verdiente. Sie war jung und weiblich und eine Bekannte Elsäßers. Wer zuletzt lacht …
    Ich überließ ihr mein Kabuff und ging die Kollegen stören. Als ich nach anderthalb Stunden zurückkam, stand mein Karteikasten offen, und Isolde schrieb, über ihren Terminplaner gebeugt, Telefonnummern ab. Ich riss ihr, ehe sie aufschaute, ihr Büchlein unterm Kugelschreiber weg. Sie fuhr auf. Mit einem zweiten Griff ratschte ich den gesamten Adressteil aus den Ringen und warf ihr den Terminplaner entgegen, als sie aufsprang. Das lederne Buch hüpfte ihr aus den Händen unter den Tisch. Als sie wieder hochkam, hatte ich schon das Feu erzeug unter die Adresszettel gehalten und ließ das Bündel in den Aschenbecher fallen. Fassungslos sah sie zu, wie der Aschenbecher in Flammen aufging.
    »Telefonnummern«, sagte ich, »erarbeitet sich jeder Journalist selber. Ich hoffe, Sie schreiben besser, als Sie stehlen. Wo ist der Artikel über den Schulhofmord?«
    »Der ist … Maier hat ihn abgesegnet … Sie waren ja nicht da!«
    In meinem Hirn funkte es. Aber der Spannungsbegrenzer verhinderte, dass die Sicherung durchknallte. Ich schloss meinen Adresskasten in den Schreibtisch und begab mich ins Archiv hinab.
    Dort herrschte in feuerfesten Kunstlichträumen Karin Becker über die hauseigenen und bundesweiten Presseerzeugnisse und das Munzinger Archiv. Die Jungfer legte die Schere auf die Leipziger Volkszeitung und füllte ei nen Kaffeebecher.
    »Paul-Häberlin-Gymnasium«, sagte ich.
    Becker ging an die Hängeregister. »Das PHG wurde in den Fünfzigern gegründet und in den Siebzigern erweitert. Starker naturwissenschaftlicher Zug, obgleich der damalige Rektor Philologe war, ein Dr. Karl August Hauff. Er ging vor sechs Jahren in Pension. Sein Nachfolger heißt Wilhelm Otter. Hat alle Staatsexamen mit Eins absolviert und ist der Schwager des Kultusministers.«
    »Oh!«
    Becker lächelte knittrig fein. »Karl Kraus hat damals den Artikel geschrieben. Einer seiner letzten Arbeiten für den Anzeiger . Ich würde sagen, er hat wie üblich vor dem dicken Ende gekniffen, gell.«
    So auch im Privatleben. Krk hatte mir im Rahmen ei ner heftigen Affäre seinen Tisch und Job beim Stuttgarter Anzeiger überlassen und war als Fotograf zum Motor-Magazin MM gewechselt. Dort schien er endgültig unter die Räder gekommen zu sein. »Haben Sie mal wieder was von ihm gehört?«
    Becker dankte mir mit einem Lächeln für den Hinweis, dass die Affäre längst vorbei war, und blätterte in den Zeitungsschnipseln der Mappe. »Da schau her. Vor zwei Jahren verschwand ein Schüler, zwölf Jahre, ein Kurde namens Selim Ögalan, auf dem Nachhauseweg. Die Ermittlungen in türkischen Kreisen brachten genauso wenig wie die in Skinheadkreisen. Im letzten Jahr wurde ein Skinhead aus dem PHG zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er zusammen mit einem Jungen von der Carl-Benz-Schule auf dem Hallschlag Steinplatten von der Reinhold-Mayer-Brücke in Münster auf Obdachlose geworfen hatte. Glücklicherweise kam keiner zu Schaden. Die Namen der beiden Burschen wurden aus Gründen des Jugendschutzes nicht veröffentlicht.«
    »Gestern wurde der Deutschlehrer Marquardt vermutlich ermordet.«
    »Oh.« Becker nestelte eine Haarsträhne in den Dutt zurück und setzte sich an den Computer. Seit Jahren schon bemühte sich eine einsame Hilfskraft, das gesamte Archiv einzuscannen und mit Recherche-Modi zu versehen. Die Jungfer Becker, hochkonzentriert im bläulichen Widerschein des Bildschirms, war immer noch ein ungewohnter Anblick für mich. Dabei bewahrte sie, trotz der Unerschrockenheit gegenüber futuristischer Technik, die zarte Würde einer früh verknitterten Fünfzigerin in blauem Faltenrock und rosafarbener Bluse, die beim abendlichen Kräutertee den kastrierten Kater streichelte und von Kreuzfahrten mit einem distinguierten Herrn träumte.
    »Da haben wir’s«, meldete sie. »Jürgen Marquardt hat nämlich mit seinen Schülern das Stück Was heißt’n hier Liebe? von der Roten Grütze inszeniert. Die Aufführung sollte kurz vor Weihnachten stattfinden, aber der Hauptdarsteller erschien nicht, ein gewisser Marko Vasiljevic, fünfzehn Jahre.«
    Musste das ein Gekicher gewesen sein. Wie brachte man pubertierende Kinder dazu, auf der Bühne von Masturbation in Bubenzeltlagern und Orgi dem Orgasmus zu erzählen? Der Vorbericht zur Premiere war reich bebil
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