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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
Autoren: Simon Spurrier
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Kapitel 1
    London hustete sich die Lunge aus dem Leib und lag glänzend da.
    Der Novembernieselregen hatte zum ersten Mal seit drei Nächten aufgehört, trotzdem blieb die Luft erstickend schwer. Sie war erfüllt von einer klammen Feuchtigkeit, die an glatten Ziegelsteinen und grauen, blattlosen Bäumen haftete. Auf Mauersimsen in Soho schmollten Tauben in stumpfsinniger Verwahrlosung vor sich hin, während tapfere Raucher vor dampfenden Pubs in Smogwolken standen und über diese demütigende Notwendigkeit murrten. An Häusereingängen entlang der Oxford Street klammerten sich Obdachlose an träumenden Hunden fest, um sich zu wärmen. In Camden gingen sogar die – anfangs wegen der Unterbrechung des Regens noch optimistischen – Dealer dazu über, sich in der Nähe von Kebabläden und Warteschlangen vor Klubs herumzudrücken, aus denen überschüssige Wärme sickerte, um dort ihre Mantras zu murmeln:
    »Gras, Hasch, Pillen … Gras, Hasch, Pillen …«
    Im Osten rollten unter einem trostlosen Himmel Busse mit beschlagenen Fenstern brüllend wie Löwen durch alte Pfützen, wichen hinkenden Füchsen und gleichmütigen Katzen aus.
    Und in Hackney schrie eine junge Frau, bis ihre Stimme kippte.
    Die Busse fuhren weiter. Die Füchse zuckten kaum.
    Der Schrei verkam zu abgehackter Stille, dann holperte er über mehrfache, spitze Töne und wurde zu einem einzigen, ausgelaugten Stöhnen. Die Nachbarn drehten die Fernseher lauter.
    Nur ein Mann lauschte aufmerksam, seufzte dabei und zog seinen Mantel mit den vielen Taschen enger um sich. Sogar in seinem verdreckten Van, der allein unter einer Straßenlaterne parkte, die pissegelbes Licht abstrahlte, bildete sein Atem mit jedem Zug kleine Wölkchen.
    Er lauschte Sex und beklagte seine mangelnde Erregung.
    Da rührt sich gar nichts .
    Die junge Frau stieß eine Salve japsender Laute aus wie ein Zug, der durch Wasser rattert, dann stöhnte sie in Oktaven, die allein Wölfen und Walen vorbehalten sind. Sie kläffte wie ein Chihuahua, sie brabbelte in einer fremden Sprache – und die begleitenden Schmatzgeräusche verlangsamten sich dabei nie.
    Der lauschende Mann rieb sich die Stirn. Da ihm die teuren Kopfhörer die Laute direkt ins Hirn hämmerten, fiel es ihm leicht, sich vorzustellen, die Frau rede in fremden Zungen. Bei dem Gedanken musste er grinsen.
    Der Heilige Geist ist über sie gekommen , dachte er.
    Genau auf die Titten, möchte ich wetten – der versaute alte Penner .
    Der Name des Mannes lautete Dan Shaper. Er spürte, dass sich Kopfschmerzen anbahnten, rückte die Kopfhörer zurecht und betätigte einen Schalter an dem mattschwarzen Empfänger auf seinem Schoß: Kanal B. Eine weitere raffiniert versteckte Wanze, ein weiterer abgehörter Raum, ein weiterer Sturmangriff auf die Trommelfelle. Diesmal, so stellte er mit der Überzeugung eines wahren Kenners fest, ging es gerade erst los. Vorläufig zeigte sich der männliche Teilnehmer enthusiastischer.
    »Oh ja, Miststück«, keuchte die rasselnde Raucherstimme, die nach mindestens vierzig Glimmstängeln täglich klang. »Oh ja, Miststück, ja , oh ja  …«
    Shaper hatte das starke Gefühl, ins Ohr gefickt zu werden.
    Er seufzte erneut und kramte in den unzähligen Taschen nach dem Reißverschlussende seines Medikamentenordners. Äußerlich sah das Ding ganz wie ein dicker Terminplaner aus; ein Relikt aus den 1980ern, verpackt in Lederimitat und Nylon. Im Inneren jedoch befanden sich statt ordentlicher Seiten Dutzende Tablettenstreifen in Metallfolie, jeder mit seinem eigenen Gummiband befestigt. Studentenfutter fürs Hirn.
    Wie ein Künstler auf der Suche nach dem richtigen Farbtonfuhr er mit den Fingern die bunten Reihen entlang und regelte am Empfänger die Lautstärke herunter. Schon bald – mit etwas Glück nach dieser Nacht – würde er sich eine Auszeit nehmen müssen, das wusste er: einen Entgiftungsurlaub, um sich zu regenerieren und die Batterien aufzuladen. Selbst nach jahrelanger Übung und Selbstmedikation, um sein Gehirn in die Schranken zu weisen, blieb seine mentale Kost ein ständiges Wandeln am Rande der Katastrophe. Das Blut ließ sich nur bis zu einem gewissen Grad verunreinigen, bevor es unwiderruflich vergiftet war, und die Psyche ließ sich nur bis zu einem gewissen Grad stauen, bevor die Dämme brachen.
    Alles unter Kontrolle .
    Zwei Phenotropil diesmal – dicke russische Aufputschmittel –, um den Schimmer beginnender Paranoia zu vertreiben. Und vielleicht eine halbe Tablette
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