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Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Titel: Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
Autoren: Michael Connelly
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Schauspiel wird zur Genüge auf der anderen Seite der Spring Street im County-Gerichtsgebäude geboten. Tagaus, tagein zwängen sich dort die Wartenden in allen Etagen auf die Bänke, welche die Gänge säumen. Meisten sind es Frauen und Kinder, deren Ehemänner, Väter oder Lovers in Untersuchungshaft sitzen. Meistens sind es Schwarze oder Lateinamerikaner. Und meistens sehen die Bänke wie überfüllte Rettungsboote aus – Frauen und Kinder zuerst –, in denen die Menschen zusammengezwängt und verschollen umherdriften. Warten und warten, daß man gefunden wird. Boat People nennen die Witzbolde im Gericht sie.
    Während Harry Bosch auf den Stufen vor dem U. S.-District-Gericht stand und rauchte, ging ihm dieser Kontrast durch den Kopf. Das war ein weiterer Unterschied. Hier war Rauchen in den Gängen verboten. Während der Verhandlungspausen mußte er mit dem Aufzug nach unten fahren und hinausgehen. Draußen war ein mit Sand gefüllter Kübel hinter dem Betonsockel plaziert, auf dem eine Frauenstatue mit verbundenen Augen die Waage der Gerechtigkeit in die Höhe hielt. Bosch sah zur Statue auf; er konnte nie ihren Namen behalten. Die Göttin der Justiz. Irgend etwas Griechisches, dachte er, war sich aber nicht sicher. Sein Blick kehrte wieder zu der gefalteten Zeitung in seinen Händen zurück, und er las den Artikel noch einmal.
    In der letzten Zeit hatte er morgens nur den Sportteil gelesen und sich auf die Seiten mit den Tabellen und den Statistiken der Baseballspiele konzentriert. Irgendwie spendeten ihm die Spalten mit Zahlen und Prozenten etwas Trost. Sie waren klar und präzise, sie symbolisierten absolute Ordnung in einer ungeordneten Welt. Zu wissen, wer von den Dodgers die meisten Home Runs geschlagen hatte, gab ihm das Gefühl mit der Stadt und mit seinem Leben noch irgendeine Verbindung zu haben.
    Aber heute hatte er den Sportteil zusammengefaltet in seiner Aktentasche gelassen, die unter seinem Stuhl im Gerichtssaal lag. In seinen Händen hielt er den Lokalteil der Los Angeles Times, den er fein säuberlich zweimal gefaltet hatte, so wie es die Pendler auf dem Freeway machten, damit sie die Zeitung beim Fahren lesen konnten. Der Artikel über den Prozeß war rechts unten auf der ersten Seite. Er las ihn wieder und wieder und fühlte, wie es ihm beim Lesen seiner Geschichte unter dem Kragen heiß wurde.
     
    PROZESSBEGINN FÜR POLIZISTEN
IM TOUPET-FALL
    Joel Bremmer, Los Angeles Times
     
    In einem ungewöhnlichen Bürgerrechtsprozeß, der heute eröffnet wird, ist ein Detective der Polizei von Los Angeles angeklagt, unverhältnismäßig gehandelt zu haben, als er vor vier Jahren einen mutmaßlichen Serienmörder erschoß, von dem er annahm, daß er nach einer Pistole griff.
    Tatsächlich hatte der Mann jedoch nach seinem Toupet gegriffen.
    Detective Bosch, 43, wird vor dem U. S.-District-Gericht von der Witwe Norman Churchs verklagt, eines Angestellten der Luftfahrtindustrie, der auf dem Höhepunkt der Jagd nach dem sogenannten Puppenmacher-Mörder von Bosch erschossen wurde.
    Die Polizei hatte zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr nach dem Serienmörder gefahndet, dem die Medien seinen Namen gaben, weil er die Gesichter seiner 11 Opfer mit Makeup bemalt hatte. Die von der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgte Jagd zeichnete sich durch die Gedichte aus, die der Mörder an Bosch und die Times sandte.
    Nachdem Church erschossen wurde, gab die Polizei bekannt, daß sie unwiderlegbare Beweise habe, daß der Maschinenbauingenieur der Mörder sei.
    Bosch wurde vom Dienst suspendiert und später von der Einheit für spezielle Mordfälle beim Raub-Mord-Dezernat der Polizei von Los Angeles zur Mordkommission des Hollywood-Reviers versetzt. Die Polizei unterstrich, daß die Degradierung wegen Verstöße gegen die Dienstverordnung erfolgt sei – u. a. weil er unterlassen hatte, Unterstützung zum Apartment in Silverlake zu rufen, in dem Church erschossen wurde.
    Die Polizeiführung stufte den Fall als »guten« Schußwaffengebrauch ein – was im polizeilichen Sprachgebrauch bedeutet, daß kein unkorrektes Handeln vorlag.
    Da es wegen Churchs Tod nicht zu einem Prozeß kam, sind viele der von der Polizei gesammelten Beweise nie der Öffentlichkeit unter Eid präsentiert worden. Das wird sich wahrscheinlich mit diesem Prozeß ändern. Die seit einer Woche stattfindende Auswahl der Jurymitglieder sollte heute abgeschlossen werden, so daß mit den Eröffnungsplädoyers der Anwälte begonnen werden
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