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Hard Rock Vampir

Hard Rock Vampir

Titel: Hard Rock Vampir
Autoren: Volker Ferkau
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anderes Nippes, und die Sonne kroch über die Dächer und brannte schattenlos auf die Kolonnaden herunter, die die Grenze zwischen Vatikanstaat und Italien bildeten.
    Ich tauchte in der Menge unter und wartete.
    In fünfzehn Minuten sollte es so weit sein. Offiziell hatte man eine Rundfahrt des Papstes angekündigt, bei der er das Volk segnete, ich wusste es besser.
    Und tatsächlich öffnete sich das Tor und der Heilige Vater trat vor die Öffentlichkeit. Er war im festlichen Ornat und seine Leibwächter umringten ihn. Er trat aus dem Apostolischen Palast, direkt neben dem Petersdom. Er wohnte im dritten Stock, seine Amtsräume befanden sich ein Stockwerk tiefer und nun hatte er das Erdgeschoss erreicht.
    Er begab sich mit dem Volk auf eine Stufe.
    Er trat aus dem Himmel auf die Erde.
    Das Volk stöhnte und ächzte.
    Was hier geschah, gab es nur dann, wenn man den toten Papst in seinem Sarg der Öffentlichkeit präsentierte. Benedikt XVI, der 265. amtierende Papst präsentierte sich auf Augenhöhe seiner Schäfchen.
    Die Polizei hielt die jubelnde Menge zurück.
    Dort stand das Podest, das man im ersten Drittel der Ellipse errichtet hatte. Mikrophone gab es und einige mächtige Lautsprecherboxen, sowie ein kleines Rednerpult. Alles war arrangiert. Dort hinauf würde er steigen. Und er tat es. Fähnchen wurden geschwenkt, Rufe hallten und ich war mir sicher, dass, abgesehen von Michael Jackson, kein Popstar eine Begeisterung erfahren hatte wie dieser Mann.
    Frauen jammerten und Männer brüllten.
    Es war absurd.
    Ein Greis, der die Massen begeisterte wie kein anderer. Und warum? Er würde es ihnen gleich beweisen.
    Er stieg zum Podest hoch, jeder Schritt eine Offenbarung, die Qual des Menschen, dessen Schultern die Last der ganzen Welt trugen. Leicht gebeugt, ein König Lear, ein alter Weiser, ein dämonischer Philosoph, der perfekte Showman. Er wusste, was er tat. Er hatte die Menge am Faden. Er konnte sie mit einem Wink des kleinen Fingers dirigieren, und wenn er seufzte, schwiegen sechstausend Menschen und lauschten, ohne sich zu schnäuzen oder zu husten. Sogar Kleinkinder schwiegen, denn die Heilige Energie legte sich wie ein glänzendes Tuch über sie.
    Ich hätte kotzen können.
    Und war gleichermaßen fasziniert.
    Ich weiß, wie es ist, tausende Menschen im Bann zu halten. Als Black Morgus 8 Millionen Tonträger verkauften, hatten wir die größten Hallen gefüllt und nichts war geiler, nichts erregender und aufputschender, als die Reaktion des Publikums. Jeder Laut wird tausendfach zurückgeworfen. Schwingungen multiplizieren sich und bündeln sich zu einem orgiastischen Gefühl der Gemeinsamkeit. Das sind die Momente, in denen man allen Menschen im Madison Square Garden befehlen kann, hinauszugehen, um New York in Schutt und Asche zu legen – und sie würden es tun. Die Massensuggestion, das Gemeinschaftsgefühl und die allumfassende Begeisterung waren stärker als jede Droge.
    Professor Doktor Joseph Ratzinger wusste, was er tat.
    Und er tat es gut.
    Er hob die Arme und murmelte etwas. Das war immer gut. Ganz leise sprechen. Jeder wird schweigen und zuhören. Nur die Schreihälse waren erfolglos. Es waren stets die leisen Redner, denen man lauschte, auch wenn sie später brüllten und kreischten. Der Beginn musste sein wie ein Streicheln, wie eine Liebkosung.
    Schaut her, ich möchte etwas sagen.
    Aber ihr hört mir ja nicht zu ...
    Ich hörte nicht auf seine Worte. Stattdessen sah ich Frauen weinen und Kinder mit leuchtenden Augen starren. Ich erblickte Männer, deren Gesichter weich wurden und alte Menschen, denen Mienen in das Stadium der Jugend zurückkehrten.
    In diesem Moment fragte ich mich, ob ich die falsche Entscheidung getroffen hatte. War dieser Mann nicht der Richtige? Würde er die Welt retten? Würde er anders sein, als alle anderen vor ihm? Und falls ja, würde man auch ihn töten, wie Johannes Paul I., der korrupte Machenschaften der Vatikanbank aufgedeckt hatte, wofür es allerdings keine Beweise gab.
    Durfte man anders sein, wenn man das mächtigste Kirchenoberhaupt der Welt war?
    Benedikt zog mich in seinen Bann und ich zweifelte.
    Es wäre so einfach gewesen.
    Es hätte geschehen sollen und ich wäre gegangen. Einfach weggegangen. Die Welt würde sich weiterdrehen. Die Sonne würde an ihrem Platz bleiben.
    Dann sah ich sie. Sah Anna.
    Ich war nur ein Fleck in der Menge, doch sie, zwei Stufen erhöht hinter dem Podest, war unverkennbar. Ihre schwarzen Haare, ihr schmales Gesicht mit
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