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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
Autoren: Haruki Murakami
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wie der Wind an mir vorbeigerauscht sein sollte, so war es doch nur, wie ich es gewollt hatte. Und geblieben ist nichts als der weiße Staub in meinem Kopf.

    Am Kiosk kaufte ich Zigaretten und Streichhölzer und rief für alle Fälle noch einmal bei mir zu Hause an. Ich rechnete nicht damit, dass jemand abheben würde, doch als letzten Akt noch einmal bei sich selbst anzurufen schien mir keine schlechte Idee zu sein. Klar und deutlich stand mir das klingelnde Telefon vor Augen. Wider Erwarten nahm jedoch jemand beim dritten Klingeln ab. Und sagte »Hallo?« Es war das dicke, rosafarbene Mädchen.
    »Bist du immer noch da?«, fragte ich erschrocken.
    »Wo denkst du hin?«, sagte die Dicke. »Ich bin schon wieder zurück. So viel Zeit hätte ich mir nun doch nicht lassen können. Ich wollte nur das Buch zu Ende lesen.«
    »Den Balzac?«
    »Ja. Der Roman ist wirklich interessant. Man spürt so etwas wie die Macht des Schicksals.«
    »Und?«, fragte ich. »Hast du deinen Großvater herausgeschleust?«
    »Natürlich. Es war ganz einfach. Das Wasser war zurückgegangen, und ich kannte ja den Weg. Außerdem hatte ich vorsorglich U-Bahn-Karten gekauft. Großvater geht es gut. Er lässt dich grüßen.«
    »Ich danke«, sagte ich. »Was hat er denn jetzt vor?«
    »Er ist nach Finnland abgereist. In Japan könne er sich nicht auf seine Studien konzentrieren, es gäbe zu viel Ärger. Er richtet sich ein Labor in Finnland ein. An einem schönen, stillen Ort. Mit Rentieren.«
    »Und du? Fährst du nicht?«
    »Ich hab mich entschlossen hierzubleiben, in deiner Wohnung.«
    »In meiner Wohnung?«
    »Ja, warum nicht? Sie gefällt mir sehr. Die Tür lass ich reparieren, Kühlschrank, Video und so kaufe ich noch. War alles kaputt. Hast du etwas dagegen, wenn ich das Bett rosa beziehe und rosa Vorhänge anbringe?«
    »Nein.«
    »Außerdem möchte ich eine Zeitung abonnieren. Wegen des Fernsehprogramms.«
    »Nur zu«, sagte ich. »Aber in der Wohnung zu bleiben ist gefährlich. Es könnten welche vom System auftauchen, oder Semioten.«
    »Das macht mir nichts«, sagte sie. »Die sind hinter Großvater her und hinter dir, ich habe damit nichts zu tun. Gerade eben waren zwei komische Kerle da, ein großer und ein kleiner, ich hab sie verjagt.«
    »Wie hast du das denn gemacht?«
    »Ich hab dem großen ein Ohr abgeschossen. Dem wird das Trommelfell geplatzt sein. Nichts Ernstes.«
    »In der Wohnung schießen, gab das keinen Riesenauflauf?«
    »Nicht die Spur«, sagte sie. »Bei einem einzelnen Schuss denken die Leute höchstens, ein Auto hätte fehlgezündet. Wenn man rumballert, klar, aber ich bin gut, bei mir genügt ein Schuss.«
    »Junge, Junge«, sagte ich.
    »Übrigens denke ich daran, dich einzufrieren, wenn du das Bewusstsein verloren hast. Was hältst du davon?«
    »Bitte sehr, ganz wie du willst. Ich werde sowieso nichts mehr spüren«, sagte ich. »Ich fahr jetzt zum Hafen, Harumi-Pier, da kannst du mich auflesen. Ich fahre einen weißen Carina 1800 GT Twin Turbo. Ich kann ihn dir nicht weiter beschreiben, jedenfalls läuft eine Kassette von Bob Dylan.«
    »Bob wer?«
    »Er singt wie ein kleines Kind, das …«, wollte ich erklären, doch dann war es mir zu viel. »Ein Sänger, der krächzt!«
    »Wenn ich dich einfriere, entwickelt Großvater vielleicht in der Zwischenzeit eine neue Methode, um dich wieder herzustellen. Allzu große Hoffnungen solltest du dir nicht machen, aber die Möglichkeit besteht immerhin.«
    »Wer ohne Bewusstsein ist, macht sich keine Hoffnungen«, stellte ich klar. »Wer friert mich denn ein? Du selbst etwa?«
    »Keine Angst, das geht in Ordnung. Einfrieren ist meine Spezialität. In Tierexperimenten habe ich schon Hunde und Katzen eingefroren, die noch ziemlich lebendig waren. Ich friere dich ein und versteck dich an einem Ort, wo dich niemand findet«, sagte sie. »Wenn alles gut geht und du dein Bewusstsein wiedererlangst, schläfst du dann mit mir?«
    »Sicher«, sagte ich. »Wenn du dann noch mit mir schlafen willst.«
    »Ich meine, so richtig?«
    »Ich werde mein Bestes geben«, sagte ich. »Doch wer weiß, in wie vielen Jahren das sein wird.«
    »Jedenfalls werde ich nicht mehr siebzehn sein«, sagte sie.
    »Der Mensch wird älter«, sagte ich. »Auch wenn man ihn einfriert.«
    »Leb wohl!«, sagte sie.
    »Du auch!«, sagte ich. »Noch einmal mit dir sprechen zu können hat mir gut getan.«
    »Weil sich die Möglichkeit ergeben hat, doch in diese Welt zurückkehren zu können? Das ist gar nicht
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