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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
Autoren: Haruki Murakami
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aus Edelstahl eingeschlossen. Ich lauschte angestrengt, aber nicht das kleinste Geräusch drang an meine Ohren. Ich presste ein Ohr an eine der stählernen Wände, konnte aber auch so nichts hören. Nur der weiße Abdruck meines Ohres blieb zurück. Der Aufzug kam mir vor wie ein zum Zweck der Schallabsorption sondergefertigter Metallkasten. Versuchsweise pfiff ich Danny Boy, brachte aber nur etwas heraus, das sich anhörte wie das Seufzen eines Hundes mit fortgeschrittener Lungenentzündung.
    Ich gab’s auf, lehnte mich an eine Wand und vertrieb mir die Zeit mit der Berechnung des Kleingeldes in meinen Hosentaschen. Für Leute meines Berufes ist das allerdings ein eher wichtiges Training, so wie Profiboxer dauernd Gummibälle in den Händen kneten. Also kein Zeitvertreib im eigentlichen Sinne. Stetig wiederholtes Tun allein ermöglicht den Ausgleich tendenzieller Ungleichgewichte.
    Jedenfalls achte ich darauf, immer eine größere Menge Kleingeld in den Hosentaschen zu haben. In die rechte Tasche stecke ich 100- und 500-Yen-Stücke, in die linke Fünfziger und Zehner, 1- und 5-Yen-Stücke verstaue ich in den Hüfttaschen, benutze sie aber beim Rechnen grundsätzlich nicht. Ich stecke die Hände in die Hosentaschen und zähle mit der rechten den Betrag der 100- und 500-Yen-Münzen sowie parallel dazu mit der linken den der Fünfziger und Zehner.
    Wer so eine Berechnung noch nicht angestellt hat, wird es sich nur schwer vorstellen können, aber anfangs ist das eine recht mühsame Prozedur. Mit der rechten und der linken Hirnhemisphäre werden zwei völlig verschiedene Berechnungen durchgeführt, die zuletzt wie die Teile einer geborstenen Wassermelone zusammenzubringen sind. Ohne Üben gelingt das kaum.
    Ob das rechte und das linke Hirn dabei wirklich getrennt arbeiten, weiß ich nicht genau. Hirnphysiologen würden das vermutlich ganz anders ausdrücken. Ich bin jedoch kein Hirnphysiologe, und in praxi habe ich den Eindruck, dass meine rechte und meine linke Hirnhemisphäre beim Rechnen tatsächlich getrennt arbeiten. Das Gefühl der Ermüdung nach dem Zählen scheint mir ebenfalls von ganz anderer Natur zu sein als das nach einer gewöhnlichen Berechnung. Der Einfachheit halber glaube ich deshalb, dass ich mit dem rechten Hirn die rechte und mit dem linken die linke Hosentasche berechne.
    Ich halte mich für einen, der die Erscheinungen, Ereignisse und Dinge dieser Welt eher praktisch begreift. Nicht, weil ich praktisch veranlagt wäre – obwohl das, zugegeben, natürlich eine gewisse Rolle spielt –, sondern weil man in sehr vielen Fällen durch praktische Herangehensweise dem Wesen der Dinge besser auf die Spur kommt als durch orthodoxe Interpretation.
    Welche Nachteile ergäben sich denn im Alltagsleben, wenn man beispielsweise die Erde nicht als Kugel, sondern als riesigen Kaffeetisch auffasste? Das ist natürlich ein ziemlich extremes Beispiel, und nicht alles und jedes lässt sich mir nichts, dir nichts auf diese Weise ummodeln. Gleichwohl ist Tatsache, dass sich durch die praktische Auffassung von der Erde als riesigem Kaffeetisch eine ganze Reihe trivialer Probleme, wie sie die Auffassung von der Erde als Kugel mit sich bringt – die Schwerkraft zum Beispiel, die Datumsgrenze, der Äquator und ähnliches nicht sonderlich nützliches Zeug – überzeugend beiseite wischen lassen. Wie oft im Leben hat denn der normale Mensch mit dem Äquator zu tun?
    Deshalb bemühe ich mich, die Dinge immer möglichst praktisch zu betrachten. Ich bin der Ansicht, dass die Welt sich aus tausenderlei, um nicht zu sagen, aus einer Unendlichkeit von Möglichkeiten zusammensetzt. Und die Auswahl ist zu einem gewissen Grade den die Welt strukturierenden Individuen anheim gestellt. Die Welt ist ein aus kondensierten Möglichkeiten bestehender Kaffeetisch.
    Parallel – um zum Ausgangspunkt zurückzukehren – mit der rechten und der linken Hand völlig verschiedene Berechnungen anzustellen ist beileibe nicht einfach. Auch ich habe ziemlich lange gebraucht, bis ich es beherrschte. Wenn man es aber einmal kann, wenn man, anders gesagt, den Trick einmal draufhat, geht man dieser Fähigkeit so leicht nicht wieder verlustig. Das ist wie beim Fahrradfahren oder Schwimmen. Was aber nicht heißt, dass man nicht der Übung bedürfte. Nur durch unablässiges Üben erzielt man Fortschritte und stilistisches Raffinement. Deshalb achte ich immer darauf, Kleingeld in den Hosentaschen zu haben, und wenn ich Muße habe, berechne ich es.
    In
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