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Hana

Hana

Titel: Hana
Autoren: Lauren Oliver
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Glühwürmchen.«
    Ich drehe mich in die Richtung, in die er schaut. Erst sehe ich gar nichts. Dann plötzlich lodern an mehreren Stellen weiße Lichtblitze mitten in der Luft auf, einer nach dem anderen. Während ich zusehe, schweben immer mehr davon aus der Dunkelheit – kurze Funken, die benommen umeinander kreisen und dann wieder in der Dunkelheit versinken, ein hypnotisches Muster aus Aufleuchten und Verlöschen.
    Wie aus dem Nichts ist die Hoffnung wieder da und ich stelle fest, dass ich lache. Ich nehme seine Hand und drücke sie. »Vielleicht ist das ein Zeichen«, sage ich.
    »Vielleicht«, erwidert er und beugt sich vor, um mich wieder zu küssen, so dass meine Frage – Was wird aus uns?  – unbeantwortet bleibt.

drei
    M
it heftigen Kopfschmerzen wache ich auf. Das Sonnenlicht blendet mich, denn ich habe gestern Nacht vergessen, die Jalousie runterzulassen. Ich habe einen säuerlichen Geschmack im Mund. Schwerfällig schleppe ich mich ins Bad, putze mir die Zähne und spritze mir Wasser ins Gesicht. Als ich mich aufrichte, sehe ich es: einen blauroten Fleck am Hals direkt unter meinem rechten Ohr, eine winzige Ansammlung verletzter und geplatzter Blutgefäße.
    Ich kann es nicht glauben. Er hat mir einen Teufelskuss gegeben.
    In der Schule wurden wir immer auf Knutschflecken hin untersucht; wir mussten uns mit zurückgestrichenen Haaren in einer Reihe aufstellen, während Mrs Brinn unsere Brüste, Hälse, Schlüsselbeine und Schultern inspizierte. Teufelsküsse sind ein Anzeichen für illegale Aktivitäten – und außerdem ein Krankheitssymptom, denn die Deliria breitet sich über den Blutkreislauf aus. Als Willow Marks letztes Schuljahr mit einem ungeheilten Jungen im Deering Oaks Park erwischt wurde, hieß es, dass sie wochenlang unter Beobachtung stand, nachdem ihre Mutter an ihrer Schulter einen Teufelskuss bemerkt hatte. Willow wurde aus dem Unterricht genommen, um ganze acht Monate vor ihrem angesetzten Eingriff geheilt zu werden. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.
    Ich krame ganz hinten im Badezimmerschränkchen herum und finde zum Glück eine alte Tube Foundation und einen Abdeckstift. Ich trage das Make-up auf, bis der Teufelskuss nichts weiter als ein schwacher blauer Fleck auf meiner Haut ist, dann stecke ich meine Haare zu einem strubbeligen seitlichen Knoten direkt hinter meinem rechten Ohr hoch. In den nächsten Tagen muss ich sehr vorsichtig sein; ich trage ein Krankheitsmal. Die Vorstellung ist gleichermaßen aufregend und furchteinflößend.
    Meine Eltern sind unten in der Küche. Mein Vater guckt die Morgennachrichten. Obwohl es Sonntag ist, ist er für die Arbeit gekleidet und isst im Stehen eine Schüssel Cornflakes. Meine Mutter telefoniert, wobei sie die Schnur um ihren Finger wickelt und gelegentlich ein zustimmendes Geräusch von sich gibt. Ich weiß sofort, dass sie mit Minnie Phillips spricht. Mein Vater schaut Nachrichten, um sich zu informieren, meine Mutter ruft Minnie an. Mrs Phillips arbeitet beim Einwohnermeldeamt und ihr Mann ist Polizist – beide zusammen wissen sie alles, was in Portland los ist.
    Na ja, fast alles.
    Ich muss an all die abgedunkelten Zimmer mit Ungeheilten gestern Nacht denken – wie sich alle berührt, miteinander geflüstert und den Hauch der anderen eingeatmet haben – und verspüre einen Anflug von Stolz.
    »Morgen, Hana«, sagt mein Vater, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.
    »Guten Morgen.« Ich achte darauf, ihm meine linke Seite zuzudrehen, als ich auf einen Stuhl am Küchentisch gleite, und schütte eine Handvoll Cornflakes in meine Handfläche.
    Im Fernsehen wird gerade Donald Seigal, der Sprecher des Bürgermeisters, interviewt.
    »Die Geschichten über eine Widerstandsbewegung sind absolut übertrieben«, sagt er aalglatt. »Trotzdem reagiert der Bürgermeister auf die Sorgen der Gemeinschaft … Wir werden neue Maßnahmen ergreifen …«
    »Unglaublich.« Meine Mutter hat den Hörer aufgelegt. Sie nimmt die Fernbedienung und stellt den Fernseher lautlos. Mein Vater gibt ein verärgertes Schnauben von sich. »Weißt du, was Minnie mir gerade erzählt hat?«
    Ich unterdrücke ein Lächeln. Ich wusste es. So ist das mit den Menschen, sobald sie geheilt sind: Sie sind vorhersehbar. Das gilt als einer der Vorteile des Eingriffs.
    Meine Mutter fährt fort, ohne eine Antwort abzuwarten: »Es gab schon wieder einen Zwischenfall. Eine Vierzehnjährige diesmal und ein Junge von der CP-Schule, der City of Portland. Sie
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