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Hana

Hana

Titel: Hana
Autoren: Lauren Oliver
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ist. Sarah. Sarah Sterling.
    Sie wird wohl kaum wissen, wer ich bin, aber sie senkt schnell den Blick.
    Am anderen Ende des Zimmers ist eine grobe Holztür. Steve drückt sie auf und wir landen auf einer noch heruntergekommeneren Veranda als die vor dem Haus. Jemand hat hier eine Laterne aufgestellt – Steve vielleicht? –, die die klaffenden Lücken zwischen den Holzbrettern beleuchtet, die Stellen, an denen das Holz völlig verrottet ist.
    »Vorsicht«, sagt Steve, als ich beinahe den Halt verliere und durch ein morsches Stück breche.
    »Alles klar«, sage ich, bin aber dankbar, dass er meine Hand fester umfasst. Ich sage mir, dass es das ist – das, was ich wollte, worauf ich für heute Nacht gehofft hatte –, aber irgendwie entgleitet mir der Gedanke immer wieder. Steve nimmt die Laterne mit, als wir die Veranda verlassen, und lässt sie in seiner freien Hand baumeln.
    Wir überqueren ein überwuchertes Rasenstück, auf dem das feuchte Gras kniehoch steht, und kommen zu einer kleinen weiß gestrichenen Gartenlaube, die von Bänken gesäumt ist. An einigen Stellen drängen sich Wildblumen durch die Bodenbretter. Steve hilft mir hinein – sie liegt einen knappen Meter über dem Boden, aber falls es irgendwann mal eine Treppe gab, ist die inzwischen weg – und folgt mir dann.
    Ich drücke probeweise auf eine der Bänke. Sie scheint robust genug zu sein, daher setze ich mich. Die Grillen zirpen pausenlos und der Wind trägt den Geruch nach feuchter Erde und Blumen herbei.
    »Hier ist es schön«, sage ich.
    Steve setzt sich neben mich. Ich bin mir auf unbehagliche Weise jeder Stelle unserer Haut bewusst, an der wir uns berühren: Knie, Ellbogen, Unterarme. Mein Herz beginnt zu hämmern und schon wieder fällt mir das Atmen schwer.
    »Du bist schön«, sagt er. Bevor ich etwas erwidern kann, fasst er mich am Kinn und dreht mein Gesicht zu sich und dann küssen wir uns wieder. Diesmal denke ich daran, den Kuss zu erwidern, meine Lippen an seinen zu bewegen, und ich bin nicht so überrascht, als seine Zunge sich ins Innere meines Mundes vorwagt, obwohl mir das Gefühl immer noch fremd und nicht ganz angenehm ist. Er atmet heftig und wickelt meine Haare um seine Finger, daher nehme ich an, es gefällt ihm – ich mache es offenbar richtig.
    Seine Finger streichen über meinen Oberschenkel und dann senkt er die Hand und massiert mein Bein, wandert langsam hinauf bis zur Hüfte. Mein gesamtes Gefühl strömt zu dieser Stelle, wo sich meine Haut anfühlt, als würde sie unter seiner Berührung brennen. Das muss die Deliria sein. So muss sich Liebe anfühlen, das, wovor mich alle gewarnt haben. Mein Verstand dreht sich vergeblich und ich versuche mich an die Symptome der Deliria zu erinnern, die in Das Buch Psst aufgelistet sind, während Steves Hand sich immer weiter vorwagt und sein Atem immer drängender wird. Seine Zunge ist so tief in meinem Mund, dass ich Angst habe zu ersticken.
    Plötzlich kann ich an nichts weiter denken als an einen Vers aus dem Buch der Klagelieder: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und so mancher Wolf trägt einen Schafspelz. Der Narr, der falschen Versprechungen glaubt, findet den Tod.
    »Warte«, sage ich und schiebe ihn weg.
    »Was ist los?« Steve fährt mit den Fingern von meinem Wangenknochen zum Kinn. Sein Blick ruht auf meinem Mund.
    Geistige Abwesenheit, Konzentrationsschwierigkeiten – mir ist schließlich doch noch ein Symptom eingefallen. »Denkst du an mich?«, platze ich heraus. »Ich meine, hast du an mich gedacht?«
    »Andauernd.« Seine Antwort kommt schnell, leichthin. Das sollte mich glücklich machen, aber ich bin verwirrter denn je. Irgendwie habe ich mir immer vorgestellt, ich würde das Aufkeimen der Krankheit bemerken – dass ich es instinktiv spüren würde, eine Veränderung tief drin in meinem Blut. Aber das hier ist einfach nur Anspannung und nagende Unruhe und nur gelegentlich brandet ein gutes Gefühl in mir auf.
    »Entspann dich, Hana«, sagt er. Er küsst meinen Hals, bringt seinen Mund an mein Ohr und ich versuche zu tun, was er sagt, und mich der Wärme hinzugeben, die sich aus meiner Brust bis in meinen Magen ausbreitet. Aber ich kann den Fragen keinen Einhalt gebieten; sie steigen in mir auf, drängen sich in der Dunkelheit.
    »Was wird aus uns?«, frage ich.
    Er löst sich seufzend von mir und reibt sich die Augen. »Ich weiß nicht, was du …«, hebt er an und bricht dann mit einem leisen Ausruf ab. »Ey, Wahnsinn! Guck mal, Hana,
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