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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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kümmert ihn nicht, dass es falsch ist, höchstens, dass es falsch ist für Kyle. Manchmal versteht sogar Danielle, wie in den Nächten, in denen er uns immer wieder ruft und wir die blöde Fahrt nochmal durchleben – jede Einzelheit, die Hälfte davon erfunden –, bis wir den Unfall geradezu herbeisehnen und richtig froh sind, den Baum zu sehen. Und dann fängt alles wieder von vorn an.)
    Darryl ist schon weg, als sie über den Parkplatz fahren, an dem abgedunkelten Gartencenter vorbei, wo die Pflanzen stumm in dem beschlagenen Gewächshaus atmen. Tim hält an und blickt in beide Richtungen. Warum? Wäre ein Unfall nicht genauso gut?
    Nein. Er kann sich nichts Verantwortungsloseres vorstellen. Sein Plan folgt einer Logik, und dazu gehört, dass niemand anders hineingezogen wird. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. (Jetzt hört er sich an wie Brooks, richtig kosmisch. Es war ein Unfall. Warum versuchst du ständig, einen Sinn darin zu entdecken?
    Aber Kyles Mom tut das auch, und Danielles Schwestern, Toes Mom und Stiefvater, meine Familie, Mr. Kulwicki in der Schule. Keiner kann loslassen. Schau uns doch an, wir fahren immer noch mit Tim und Kyle durch die Stadt. Das ist die Vorhölle, und wenn Tim die Sache durchzieht, kommen wir hier nie mehr raus.
    Mir gefällt es, ein Geist zu sein, sagt Toe.
    Mein Gott, sagt Danielle, das sieht dir ähnlich.
    Im Ernst.
    Ach, Toe.
    Was denn?)
    An der 44 muss Tim an der Ampel warten, obwohl niemand kommt. Nur noch der Mobil Mart ist offen, der Kassierer eingeschlossen in seinem Glaskasten, umringt von beleuchteten Waren. Tim nutzt die Zeit, um sich eine Zigarette anzuzünden.
    «Tim», sagt Kyle und dann nichts mehr.
    «Was denn?»
    «Rauchen schadet deiner Gesundheit», sagt Kyle geradeheraus wie ein Erstklässler.
    «Stimmt», sagt Tim und öffnet den Reißverschluss an seinem Fenster.
    Die Ampel springt auf Grün, und sie biegen rechts ab und beschleunigen zwischen dem Staples und dem McDonald’s, dem Dunkin’ Donuts, wo Danielle gearbeitet hat. Eiskalte Luft strömt herein, und er zieht den Reißverschluss zu und schwenkt auf die linke Spur.
    «Tim», fragt Kyle, «glaubst du, dass es morgen schneit?»
    «Nein, Kyle, ich glaube nicht, dass es morgen schneit.»
    «Magst du Schnee?»
    Gibt es darauf eine Antwort? «Eigentlich nicht.»
    Kyle antwortet nicht, als hätte er den Faden verloren, und das ist gut so. Tim will allein sein, damit er sich an Danielle am Autoschalter erinnern kann, daran, wie dämlich sie in ihrer grauenhaften Uniform aussah, mit dem blöden lila Augenschirm, dem zusammengebundenen Haar. Er sieht gerade ihre Ohren und ihren Hals, die Goldkette, die er ihr zu Weihnachten geschenkt hat, als Kyle sagt: «Ich mag Schnee.»
    «Ich würde nicht drauf wetten, dass es morgen schneit, Kumpel», sagt Tim und versucht ihn sachte auf den Boden der Tatsachen zu holen.
    Hat es irgendeine Bedeutung? Kyle kann Befehle entgegennehmen und einfache Arbeiten wie Ausfegen verrichten, aber wie er denkt, das bleibt ein Rätsel. Den ganzen Sommer drehte sich bei ihm alles um Blitze, jetzt ist es Schnee. Kann er sich daran erinnern, oder hat er welchen beim Wetterkanal gesehen? Haben sie im Rehazentrum darüber gesprochen und Leselernkarten mit Frosty und Wintersportorten aufgedeckt?
    «Warum wünschst du dir, dass es schneit?», fragt Tim.
    «Weil wir dann vielleicht schneefrei hätten.»
    «Weißt du, was morgen für ein Tag ist?»
    «Morgen ist Mittwoch», sagt Kyle, als ob Tim dumm wäre. Und das stimmt auch. Er wünscht sich, dass der Tag Kyle genauso viel bedeutet wie ihm, aber das ist unmöglich. Am liebsten würde er mit ihm über jene Nacht und alles reden, was danach passiert ist, aber das ist nicht der Kyle, der ihm helfen kann.
    «Es ist Halloween», sagt Tim.
    «Ich weiß. Wir feiern eine Party.»
    «Und warum willst du Schnee haben, wenn ihr eine Party feiern wollt?»
    Kyle blinzelt ihn unsicher an und betrachtet dann seine Hände, als würde ihn jemand bestrafen. «Ich weiß nicht.»
    Und warum muss Tim die richtigen Worte finden? Warum kann er Kyle nicht frustriert dasitzen lassen?
    «Ich glaube, wir kriegen dieses Jahr eine Menge Schnee», sagt er, eine harmlose Bemerkung.
    «Das würde mir gefallen», sagt Kyle.
    Es ist, als hätte man ein Kind, denkt Tim, und er muss an Danielle und das perfekte Leben denken, das sie zusammen geführt hätten. (Kinder?, sagt Danielle. Ich
glaube
nicht.) Früher hatte er Danielle, jetzt hat er Kyle.
    Draußen zieht die
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