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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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die Toilette, ein Hörgerät in den Papierkorb– und steht dann ängstlich da, bis sie zu seiner Rettung kommt. Heute Nacht macht er seine Sache gut, bis der Seifenspender ins Waschbecken flutscht. Kyle beobachtet, wie das Wasser drüberläuft; sie tritt ins Bad, bleibt dann stehen, als er sich bückt, um ihn aufzuheben, und macht sich Vorwürfe, weil sie nicht länger gewartet hat. Sie muss fester an ihn glauben.
    «Musst du noch?», fragt sie.
    «Nein», sagt Kyle.
    «Warum probierst du’s nicht?», drängt sie, schließt die Tür und zieht sich in sein Zimmer zurück, wo sie die Bettdecke zurückschlägt und seinen Flanellschlafanzug zurechtlegt.
    Das Zimmer ist aufgeräumt, sein Schreibtisch und die Frisierkommode blitzblank. Seit dem Unfall hat sie nichts verändert, und die sich überlappenden Poster von tätowierten und gepiercten Rap-und Rockstars, die sie nicht kennt und die ihr zuerst ganz fremd waren, findet sie inzwischen tröstlich, fast als würden sie ihr gehören. Sie redet sich gern ein, dass sie helfen könnten, ihm die Welt vor dem Unfall ins Gedächtnis zu rufen, dass sie ihn mit unterschwelligen Erinnerungen aufladen könnten, aber bis jetzt gibt es dafür kein Anzeichen. Wie ein Fünfjähriger steht er auf Fastfood und Zeichentrickfilme. Er schläft neben lebensgroßen Bildern von Leuten, die er nicht kennt, zwischen CDs und Videospielen, die er nicht mehr benutzt.
    Als er nach dem Unfall noch im Krankenhaus lag, hat sie Kyles Dad geholfen, das Zimmer zu durchsuchen. Weder die Haschpfeifen noch die Pornohefte oder das glänzende Messer haben sie schockiert. Sie war auf Schlimmeres gefasst. Er betrachtete sich gern als gefährlichen Burschen, aber das stimmte nicht, das redete er sich bloß ein, um sie zu schockieren. Tat sie nicht dasselbe? In ein paar Jahren hätte er diese Pose überwunden gehabt, wäre als ein interessanter junger Mann, jemand, mit dem sie sich unterhalten könnten, vom College zurückgekehrt.
    (Sie träumt. Er hasste alles an diesem Haus, besonders sie, wiesie ihr Leben in eine falsche Idylle verwandeln wollte. Er konnte es kaum erwarten wegzukommen, egal, wohin – New York, San Francisco. Er sagte immer, er ginge weg, er ginge so weit weg, dass er nie mehr zurückkäme, und dann lachte er bei dem Gedanken, was das bei ihr anrichten würde.)
    Er braucht zu lange, und sie geht leise zur Tür und horcht.
    Nichts.
    «Brauchst du Hilfe?», fragt sie.
    «Nein», sagt er und betätigt die Toilettenspülung. Wenigstens hat er daran gedacht. Sie muss ihn bestärken, ihn für alles loben. Gut gemacht, wird sie sagen. So geht das.
    «Vergiss nicht, dir die Hände zu waschen.»
    Noch einmal die Seife, ein Handtuch, das nicht wieder aufgehängt wird, und endlich ist er fertig.
    Am schwersten ist es, ihn alles allein machen zu lassen. Am liebsten würde sie den Klettverschluss aufreißen und ihm die Schuhe ausziehen, ihm das Hemd aufknöpfen, aber das sind die feinmotorischen Fähigkeiten, an denen er arbeiten muss. Die ständige Wiederholung tut ihm gut, doch wenn er sich abmüht, muss sie sich dazu zwingen, nicht einzugreifen. Die Knöpfe sind am schwersten. Er wendet sich von ihr ab und knurrt frustriert, zerrt an seinem Hemd, als wollte er es zerreißen.
    «Scheiße.»
    Was?
    Nicht das schon wieder.
    «Kyle!», sagt sie, und er weicht mit hochgezogenen Schultern zurück, als wollte sie ihn schlagen. Seine Angst ist echt, das kränkt sie. Sie fragt sich, woher die Angst kommt. Er kann sich doch nicht vor ihr fürchten. Hat ihn in der Schule jemand missbraucht, einer der Lehrer?
    (Kapier’s doch, sagt Danielle. Großer Gott, sie ist wie meine Mom.)
    «Ist schon in Ordnung», sagt sie freundlich, um ihn zu beruhigen.Sie darf nicht zu lange warten, sonst weiß er nicht mehr, weshalb sie ihn ausschimpft. «Hör mal. Ich will solche Ausdrücke nicht von dir hören. Wenn dir das jemand beibringt, sag mir, wer, dann kümmere ich mich darum.»
    (Leck mich, sagt Toe.)
    «Tut mir Leid, Mom», sagt Kyle – seine Reaktion auf jegliche Bestrafung. Aber begreift er, warum?
    Es ist zu spät, um sich damit zu befassen. Sie hilft ihm bei dem widerspenstigen Knopf, zeigt ihm langsam, wie’s gemacht wird, und überlässt ihm dann die beiden letzten, die er zwischen Daumen und Zeigefinger klemmt und seitlich durch das Knopfloch schiebt, während ihre Finger unwillkürlich dieselben Bewegungen vollführen. Seine Hose kann er selbst ausziehen, wobei die Unterhose mit herunterrutscht, und dann muss er
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