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Halloween

Halloween

Titel: Halloween
Autoren: Stewart O'Nan
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winkend (Tim würde am liebsten seine Hand runterziehen), und die beiden beobachten, wie Brooks um die Ecke biegt.
    Es dauert länger als gewöhnlich, die Einkaufswagen in den Laden zu schieben, denn Tim denkt an Brooks und bleibt mit der Wagenschlange am Türrahmen hängen, und sie müssen anhalten und das ganze Ding zur Seite ziehen, und dann passt es nicht richtig rein. Kyle steht da, während Tim das Ganze wieder in Ordnung bringt. Alle anderen stempeln ihre Stechkarten, ziehen ihre Mäntel über die Uniformen und wünschen ihnen über die Registrierkassen hinweg eine gute Nacht. Tim und Kyle müssen mit Darryl, dem Geschäftsleiter, alles abschließen. Sie schalten die Berieselungsmusik aus und stellen auf dem Ghettoblaster Radio 104 ein, decken die Fleisch-und Milchvitrinen und das Obst und Gemüse mit Segeltuchplanen ab und fegen die Gänge aus (wenn Freitag wäre, müssten sie mit der Maschine, bei der Tim die Handgelenke wehtun, den Boden polieren). Er glaubt, das wird er vermissen – der ganze Laden ruhig, ihm allein gehörend. Er fährt nicht gern nach Hause, es ist wie eine Lüge. Hier ist er dem Menschen näher, der er zu sein vorgibt, und in solchenMomenten – in denen er einfach einer geistlosen Beschäftigung nachgeht – ist er wirklich er selbst. Draußen – zu Hause, in der Schule – ist er wie Kyle ein Betrüger.
    Er will nicht sterben, er will bloß nicht mehr so weiterleben.
    Er kann es weder erklären noch rechtfertigen, nicht einmal sich selbst gegenüber, deshalb versucht er es auch nicht, wagt es nicht. Es ist einfach so, dass er es tun muss, und seit er seinen Entschluss gefasst hat, fühlt er sich erleichtert, frei. Zu wissen, dass das hier bald ein Ende hat, macht ihm das Leben leichter; es ist alles, woran er sich klammert – manchmal auch Musikstücke, die Art, wie ein Akkord oder ein Refrain ihm das Gefühl gibt, ein Teil des Klangs zu sein, einer größeren, idealen Welt anzugehören, kein Körper mehr, geschweige denn ein Mensch, der mit anderen Menschen und dem, was geschehen ist, in Verbindung steht. (Denn wir sind immer bei ihm, und er will eigentlich auch nicht, dass wir weggehen. Wie Kyle sind wir seine Freunde, egal, was passiert. Danielle ist die ganze Zeit bei ihm; nur in solchen Momenten, wenn er sich darauf konzentriert, den Staub zu einer geraden Linie zusammenzufegen, ist er allein, und auch jetzt stehen wir bereit, aufgereiht neben der Gefriertruhe. Ein Blick zu Kyle, und wir sind alle fünf wieder zusammen, steigen in den Wagen von Toes Mom, sagen, was wir zueinander gesagt haben, der zarte Körper von Danielle an ihn gedrückt, ihre Brüste auf seinen sie umschlingenden Armen.)
    Der Fußboden ist fertig, und Darryl kümmert sich um die obere Etage. Die langen Neonröhren gehen reihenweise aus. Sie schnappen sich ihre Mäntel, Tim hilft Kyle, beim Stempeln die richtige Linie zu finden, und die lila Zahlen drücken sich auf die Karte. Ihre Eltern werden die Schecks bekommen. Es ist nicht viel, denkt er. (Ein weiterer Grund, es nicht zu tun, als würde er mitrechnen.)
    «Bis morgen, meine Herren», sagt Darryl an seinem Lieferwagen.
    «Geht klar», sagt Tim, denn sie sind für eine normale Schicht eingeteilt. Nach der Schule wird er Kyle wie immer abholen, und dann haben sie den ganzen Abend, um sich zu verabschieden.
    Es bloß so durchzugehen bringt Unglück, und Tim denkt, dass es falsch ist, Kyle mitzunehmen. Für ihn liegt die Lösung darin, seine Entscheidung nicht infrage zu stellen, sondern sich einfach zu vertrauen. Kyle kann er im letzten Moment immer noch absetzen – aber das würde er nie tun. Das wäre das Schlimmste, was er Kyle antun könnte. Und was ist mit seinen Eltern, ist es nach allem nicht auch das Schlimmste, was er ihnen antun kann? Wer soll das verstehen, wenn nicht mal er es kann?
    Das muss niemand verstehen. Wie könnten sie auch? Und es ist sowieso zu spät. Es ist, als wollte man gegen etwas Einspruch erheben, das schon passiert ist.
    Der Jeep wartet, der Jeep, der berühmt sein wird, der Jeep, mit dem Brooks sich befassen muss, wenn Tim ihm entwischen kann. Kyle steigt auf seiner Seite ein, die Knie gegen den am Armaturenbrett befestigten Haltegriff gedrückt, bis Tim unter den Sitz greift und das ganze Ding zurückgleiten lässt. Er hilft Kyle beim Anschnallen und denkt, dass er das am nächsten Tag nicht tun wird.
    (Es ist falsch, sagt Danielle und dringt fast zu ihm durch, aber durch ihre Anwesenheit vermisst er sie noch mehr. Es
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