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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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Der Wind steht ungünstig, da weht vom Weberbach ein recht übler Gestank herüber.«
    Er hatte recht. Angeekelt schloß sie das Fenster wieder, und als der Mann gegangen war, sank sie wie erschlagen auf das kratzige, unbequeme Bett. Ein Schmerz fuhr ihr so plötzlich in den Unterleib, daß sie aufseufzte und sich in die schmutzigen Kissen fallen ließ. So lag sie eine Weile da und sah sich mit Tränen in den Augen um. Es wäre besser, sie würde sich ein Zimmer in einem anderen Gasthaus suchen, aber ihr fehlte dazu einfach die Kraft.
    Der Gestank erinnerte sie an die beiden Alten in der Kutsche, und als sie an die Kutsche dachte, fiel ihr auch Sabine wieder ein. Sie sah sie vor sich – aufgebahrt in einer kleinen Scheune hinter dem Wirtshaus an einem Flüßchen namens Sauer. Sabines Tod, die Zudringlichkeiten Michelons in der Kutsche, ihre Schmerzen und dieses abscheuliche Zimmer … vielleicht hatten Doyen und all die anderen mit ihren Unkenrufen ja doch recht gehabt, vielleicht hatte sie sich mit dieser Reise zu viel zugemutet. Trauer, Wut und Zweifel schnürten ihr das Herz zu, und plötzlich brach sie in haltloses Schluchzen aus.
    Mélanie hatte äußerst unruhig geschlafen. Am frühen Morgen erwachte sie durch die derben Flüche eines Mannes unten im Kutschhof. Sie ging zum Fenster und sah hinunter. Ein Postillion spannte zwei Braune ein, die bei jeder seiner heftigen Bewegungen erschrocken den Kopf aufwarfen und zurückwichen. Es waren junge, unerfahrene Pferde und sicher nicht geeignet für so grobe Hände.
    Zwei Männer halfen dem Kutscher beim Beladen. Den braunen Reisekoffer, den der eine von ihnen geschultert hatte, erkannte sie als den von Michelon.
    Kurz darauf erschien Henry Michelon selbst. Er begutachtete die Körbe, Taschen und Koffer, es schien, als würde er etwas suchen. Nach einem Wortwechsel mit dem Kutscher sah er sich plötzlich um und suchend an der Fassade des Hauses hinauf. Mélanie wich sofort zurück, war aber nicht schnell genug. Er hatte sie entdeckt und schien verblüfft – offensichtlich hatte er nicht mit der Möglichkeit gerechnet, daß sie nicht Weiterreisen würde.
    Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis die Kutsche abfuhr. So lange hielt sich Mélanie am Fenster auf. Sie wollte ganz sicher sein, daß Henry Michelon die Stadt verließ. Erst als sie ihn einsteigen und abfahren sah, atmete sie auf.
    Nachdem sie sich frisch gemacht und etwas zu sich genommen hatte, sah sie sich Trier an. Kaum zu glauben, daß diese kleine Stadt im römischen Reich einmal von so großer Bedeutung gewesen sein sollte.
    Am Hauptmarkt herrschte reges Treiben. Da waren große Fuhrwerke mit Fässern beladen, in denen Wein oder Bier, gepökeltes Fleisch, Fisch aus den umliegenden Flüssen oder eingelegtes Kraut transportiert wurden. Da waren Holzfuhrwerke, bepackt mit Schindeln oder anderen Baumaterialien oder Karren voller Hausrat, der auf dem Markt verkauft werden sollte. Und in der Mitte des Platzes stand ein Fuhrwerk, beinahe haushoch beladen mit Heu für die Pferde und Ochsen, die all diese Kutschen und Karren zogen und gefüttert werden mußten.
    An der Westseite des Marktes befanden sich die Steipe und das Rote Haus. Mélanie betrachtete die beiden Gebäude und sah dann hinauf zum riesigen schmucklosen Turm der Gangolfskirche, von dem die Feuerwächter weit über die Stadt blicken konnten, um im Fall eines Brandes Alarm zu schlagen. Doch jetzt war es ruhig dort oben, nur einige Tauben hockten auf dem Sims und gurrten sich an.
    Ein paar Schritte die Straße hinauf kam sie am Dreikönigen-Haus vorbei, einer Art Turmhaus: ein festlich-wehrhafter Bau, weiß getüncht, die Einfassungen der Bogenfenster in Ochsenblutrot und in Ockergelb bemalt. Es war ein seltsames und schönes Haus, das Mélanie als Ganzes und in Details in ihr Tagebuch zeichnete.
    Noch ein paar Schritte weiter im Norden stand das bekannte Stadttor, dunkel und mächtig, fast angsterregend klobig. Ein Relikt aus der Zeit der Römer, wie sie nachgelesen hatte. Später hatte man es zu einer Klosterkirche umgebaut – nein, eigentlich waren es zwei übereinanderliegende Kirchen gewesen. Davon sah man allerdings nun nichts mehr, denn auf Befehl Kaiser Napoleons war das Tor vor einigen Jahren von allen nichtrömischen Verunstaltungen befreit worden.
    Mélanie spazierte am Dom vorbei zur römischen Basilika, in deren Ostwand ein großes Loch klaffte, und kehrte dann in einem Gasthaus ein, wo sie ein warmes Mittagessen zu sich nahm. In der
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