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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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dort?«
    »Nein.« Sie zögerte. Ihre Krankheit ging ihn nichts an. Deshalb behauptete sie: »Ebenfalls Geschäfte.«
    Sie sah wieder aus dem Fenster, in der Hoffnung, das Gespräch auf diese Weise beenden zu können.
    Henry Michelon nahm eine zweite Prise Schnupftabak, schob dann die Dose in seine Tasche zurück. »Seit neuestem ist ja das Rauchen von Stumpen in Mode gekommen. In Enningloh gibt es jetzt sogar eine Zigarrenfabrik. Aber Sie rauchen wohl nicht, Monsieur?«
    »Nein«, sagte Mélanie.
    »Nicht rauchen, nicht schnupfen – da haben Sie wohl gar keine Laster!« Plötzlich setzte er sich neben sie und legte seine schmutzige Hand auf ihren Schenkel. »Aber das macht sich für eine feine Dame auch nicht so gut – nicht wahr, Monsieur?« Das Wort ›Monsieur‹ betonte er sarkastisch.
    Mélanie sah ihn an. Es war klar, worauf diese Unterhaltung hinauslaufen sollte. Er hatte sie als Frau erkannt und wollte sich Freiheiten herausnehmen. Einen kurzen Moment wog sie ab, ob sie nach dem Kutscher rufen sollte, aber da drückte ihr Michelon auch schon seine ekelhaften Lippen auf den Mund und fuhr ihr mit der Hand zwischen die Beine.
    Blitzschnell reagierte sie, griff nach dem Messer, das sie unter ihrem Frack verborgen hatte, und hielt es dem Kerl an die Kehle.
    Er hatte nicht damit gerechnet. Verdutzt zog er sich zurück und starrte sie mit haßerfülltem Blick an. Doch plötzlich lachte er wieder. »Nun, Monsieur, ich sehe, auch diesem Laster sind Sie nicht zugetan – wenigstens nicht im Moment. Aber wir haben ja noch eine lange Reise vor uns.«
    Mélanie antwortete nicht. Sie prüfte mit einem Griff den Sitz ihrer Perücke und setzte sich wieder gerade hin. Das Messer behielt sie vorsorglich in der Hand. Bis Trier sprachen sie beide kein Wort mehr.
    Es war höchst unwahrscheinlich, daß in Trier niemand zusteigen würde und Mélanie in die Verlegenheit käme, weiterhin alleine mit diesem Michelon unterwegs zu sein. Trotzdem beschloß sie, ihre Reise in dieser Stadt für ein oder zwei Tage zu unterbrechen und eine andere Postkutsche zu nehmen oder, falls es keinen freien Platz gäbe, bis Frankfurt eine Extrapost zu mieten. Nur so konnte sie sicher sein, nicht noch einmal von diesem Kerl angefallen zu werden.
    Die Posthalterei lag nicht weit von der Stadtmauer im Südosten der Stadt. Nach Ankunft ging Mélanie sofort in das Büro des Posthalters, um sich zu erkundigen, zu welchem anderen Zeitpunkt sie Weiterreisen konnte.
    Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Monsieur, für eine Extrapost fehlen mir die Pferde, und für morgen sind bereits alle Plätze belegt. Aber übermorgen geht eine Postkutsche bis Frankfurt, da ist noch ein Platz zu haben, den kann ich für Sie frei halten.«
    Mélanie ließ das Billet ausstellen und erkundigte sich, wo sie sich für diese zwei Tage anmelden mußte und wo sie einen Geldwechsler finden konnte.
    »Geben Sie mir Ihren Paß, Monsieur. Ich lasse ihn zum Rathaus bringen«, bot der Posthalter an.
    Mélanie bedankte sich höflich. »Das ist sehr freundlich von ihnen, doch ich bin froh, wenn ich mich nach der langen Fahrt ein wenig bewegen kann, und gehe lieber selbst hin.« In Wahrheit wollte sie nicht, daß er oder seine Dienstboten etwas über ihre wahre Identität erfuhren.
    Der Mann rief nach einem Jungen. »Bring den Monsieur ins Rathaus, und zeig ihm die Judengasse«, herrschte er ihn an. Dann wieder zu Mélanie: »In der Judengasse finden Sie Geldwechsler. Selbstverständlich können Sie das Abendessen bei mir am Tisch einnehmen.«
    Sie hatte schon sehr viel Schlechtes über das Essen in deutschen Poststationen gehört und wußte, daß es ratsam war, so eine Einladung anzunehmen, denn am Tisch des Wirtes gab es meist etwas Besseres. Doch weil sie sich endlich ihrer Perücke und der Brustbinde entledigen wollte, schob sie Müdigkeit vor und bestellte eine Kleinigkeit auf ihr Zimmer. Hätte sie allerdings gewußt, was sie erwartete, hätte sie sich gewiß anders entschieden.
    Als sie vom Geldwechsler zurückkehrte, brachte man sie in eine winzige, dunkle Kammer ohne Kamin. Die Wände waren feucht und mit Blut verschmiert – ein Zeichen, daß es Wanzen und anderes Ungeziefer im Zimmer gab, das die Leute für gewöhnlich mit ihren Schuhen an den Wänden erschlugen. Zudem stank es nach Schimmel, Erbrochenem und Urin.
    Sie ging zum Fenster und riß es auf, doch der Knecht, der im selben Moment mit ihrem Gepäck hereinkam, warnte sie. »Das sollten Sie nicht tun, mein Herr.
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