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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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braucht mich, es geht um eine Erbschaft, die ich antreten soll. Meine Tante starb vor einigen Wochen und vermachte mir ein Haus in Frankfurt. Ein Stadthaus mit drei Etagen, ganz in der Nähe der Straße, in der Herr von Goethe, der große Dichter, geboren wurde. Darauf war sie so stolz. Sie erzählte immer wieder, daß sie ihn kannte und oft sah, wie er als ›Herrenbübchen‹ mit silbernem Degen und seidenen Strümpfen durch die Gassen spazierte.«
    Sabine lächelte still in sich hinein, aber dann wurde sie wieder ganz ernst. »Und jetzt ist sie an einer Lungenentzündung gestorben, wie man mir schrieb. Ihr Mann und ihre beiden Söhne sind schon lang vor ihr gegangen … und dann, zu allem Unglück, auch meine Kleine, mein geliebtes, mein einziges Kind.« Die letzten Worte waren kaum noch zu hören.
    »Wie hieß Ihre Kleine?« fragte Mélanie, denn sie spürte, wie gerne Sabine über das Kind sprechen wollte, das sie zur Welt gebracht und gleich wieder verloren hatte.
    »Wir konnten sie nicht taufen. Sie ist nur drei Stunden alt geworden, aber in meinem Herzen nenne ich sie Augustine, nach ebendieser Tante. Ich hoffe, die beiden sind jetzt zusammen – wo auch immer. Ob ich an einen Gott und den Himmel glauben soll, weiß ich nicht. An eine Hölle will ich schon gleich gar nicht glauben, die haben wir doch bereits hier auf Erden.«
    Wieder hatte Sabine sehr leise gesprochen, ihre Worte waren kaum noch zu hören gewesen. Mélanie nahm sie in die Arme und hielt sie eine Weile fest. So ausgezehrt war der kranke Körper, daß sie selbst durch den schweren Stoff ihrer beider Kleider jede von Sabines Rippe spüren konnte.
    Als Mélanie sich umwandte, sah sie eine Schale Suppe auf dem Tisch stehen. Sie war unberührt. »Aber Ihre Suppe müssen Sie essen!« Mélanie griff danach.
    »Nein, bitte …« Sabine schob die Schale angewidert von sich. »Mein Mann hat Medizin hineingegeben, und wenn ich sie nehme, geht es mir immer so schlecht.«
    »Medizin?«
    Sabine nickte. »Kalomel – ich nehme es seit einigen Wochen, aber es macht mein Herz so unruhig, mir ist, als würde mir die Brust zerspringen. Und dann, sehen Sie nur …« Sie griff sich in die Haare und zog ein Büschel heraus. »Ich bin sicher, das kommt von dieser Medizin!«
    Mit ungläubigem Blick starrte Mélanie auf die Haare, die Sabine in der Hand hielt. Plötzlich sprang sie auf, griff nach der Schale, öffnete das Fenster und schüttete den Inhalt hinaus. Zitternd vor Wut, schlug sie das Fenster wieder zu, wandte sich um und sagte: »Ich werde Essen für Sie besorgen. Sie müssen zu Kräften kommen. Und ich werde …«
    Sie brach ab, wußte nicht, was sie würde, denn plötzlich war ihr bewußt, daß sie nicht helfen konnte. Es sei denn, sie würde dieses Ungeheuer von einem Ehemann über den Jordan schicken und mit ihm die ganzen verdammten Quacksalber, die giftige Medikamente verabreichten und kranken Frauen das Blut abzapften.
    Mélanie ging in ihr Zimmer, holte einige Francs, kam zurück und klingelte nach Margie, dem Wirtsmädchen, das sie schon zuvor bedient hatte. Als es klopfte, öffnete sie die Tür nur einen Spalt breit, damit Margie sie nicht sehen konnte, drückte ihr das Geld in die Hand und bestellte noch einmal Brühe mit Hühnerfleisch, Brot und etwas von der geräucherten Zunge.
    Wenig später brachte das Mädchen das Gewünschte. Während Sabine ihr das Tablett abnahm, versteckte Mélanie sich hinter der Tür, und als das Mädchen gegangen war, deckte sie den Tisch und drückte Sabine den Löffel in die Hand. »Essen Sie!«
    Schon nach ein paar Happen legte Sabine das Besteck wieder beiseite und schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht, ich habe keinen Appetit.«
    »Sie müssen essen!« Mélanie fütterte sie wie ein kleines Kind. »Sie müssen unbedingt zu Kräften kommen.«
    »Aber warum? Das ist doch kein Leben. Glauben Sie mir, nichts wäre mir lieber, als zu sterben.«
    Später, als Mélanie sich hingelegt und das schwere Federbett über sich gezogen hatte, sah sie noch lange Sabines Bild vor sich. Blaß und zerbrechlich, die Haut fast durchsichtig, ein Büschel Haare in der Hand – und plötzlich wußte sie, ganz tief im Herzen, daß es zu spät war und die junge Frau nicht mehr lange leben würde.
    Mélanies Ahnung wurde schon am Tag darauf Gewißheit. In einem kleinen Ort, an einem Flüßchen, das von den Leuten Sauer genannt wurde, hielten sie vor einer Poststation. Während der Kutscher umspannte, setzte sich Sabine auf eine
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