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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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das klirrend über den Boden schlitterte. Es war ihr Messer. Geistesgegenwärtig bückte sie sich danach und rannte dann, von Todesangst getrieben, weiter.
    Als der Schmerz nachließ, folgte Michelon dem verdammten Weibsstück. Mit seinen langen Beinen, die im Ausschreiten nicht von einem Rock behindert wurden, gelang es ihm schon bald, Mélanie einzuholen. Als er sie aber an den Schultern packte, blitzte plötzlich etwas vor ihm auf und traf ihn an der rechten Wange. Verdutzt griff er sich ins Gesicht – Blut sickerte über sein Kinn und den Hals hinunter auf die Brust. Mélanie hatte ihm mit dem Messer eine klaffende Wunde beigebracht.
    Sekundenlang starrten sie sich an. Dann fuhr Mélanie herum und hetzte weiter, verfolgt von seinen Flüchen, die ihr auf ewig Rache schworen!
    Sie erreichte das Gasthaus und stürzte über die Hintertreppe nach oben in ihr Zimmer. Dort schlug sie die Tür hinter sich zu und schob mit zitternden Händen den Riegel vor.
    Kurze Zeit später klopfte es. »Hier ist Kathi«, hörte Mélanie das Mädchen sagen. »Ich habe gesehen, daß sie zurückgekommen sind. Sie waren so aufgebracht – kann ich Ihnen helfen?«
    Mélanie öffnete und ließ sie eintreten.
    »Himmel!« Kathi schlug die Hände vor den Mund, um nicht aufzuschreien. »Wie sehen Sie denn aus!«
    »Du hattest recht – ich wäre besser zu Hause geblieben.« Mélanie nahm die Schute ab und hielt sie voller Ekel von sich. »Glaubst du, du kannst sie reinigen?«
    »Ich werde es versuchen.«
    »Und das Cape?« Sie zog es sich von der Schulter und reichte es Kathi.
    »Ja, gnädige Frau.« Das Mädchen ging zur Tür.
    »Und bringe mir bitte ein Viertelmaß Wein.«
    »Wir haben nur fränkischen, gnädige Frau. Der ist ziemlich sauer.«
    »Hole ihn trotzdem.«
    Erschöpft ließ sich Mélanie nieder. »Mon Dieu«, flüsterte sie, »was für eine Reise!«

Ankunft in Köthen
    6. Oktober 1834
    Es war später Nachmittag, als die Postkutsche, in der Mélanie saß, in Köthen einfuhr. Obwohl er Residenzstadt des Fürstentums Anhalt-Köthen war, zählte der Ort nicht mehr als sechstausend Einwohner und war für eine Pariserin eher als Dorf denn als Stadt zu bezeichnen.
    Mélanie war erschöpft und vollkommen am Ende ihrer Kraft. Die Leute, die sich neugierig um die Postkutsche drängten, um zu sehen, wer ankam und ob für den einen oder anderen vielleicht ein Brief oder eine Paketsendung dabei war, starrten sie an. Ein junger Mann, der so modisch und elegant gekleidet war, sprang nicht alle Tage aus der Kutsche und gab dann Anweisungen, man möge sein Gepäck ins Gasthaus Zum bunten Fasan bringen.
    »Der Herr kommt aus Paris!« antwortete der Kutscher, als eine Dienstmagd ihn fragte. »Das ist die Hauptstadt von Frankreich, falls dir das überhaupt etwas sagt.« Er schob sie grob zur Seite.
    Die Magd schlug die Hand vor den Mund. Paris – doch ja, davon hatte sie gehört. Aus Paris kam alles Schlechte! Kaiser Napoleon zum Beispiel, der vor fünfundzwanzig Jahren mit seinen Soldaten durchs Land gezogen war und nichts als Verwüstung, Hunger und Armut zurückgelassen hatte. Die Franzosenkrankheit kam aus Paris und, wie man hörte, auch der Verfall der Sitten schlechthin.
    Das Mädchen faßte sich in die Röcke und rannte los. Voraus zum Gasthof, um anzukündigen, was den Wirtsleuten ins Haus stand. Als Mélanie schließlich in der Gaststube an den Tresen trat, war man bereits dabei, ein Zimmer für sie herzurichten.
    Es war einfach, aber überraschend sauber. Mélanie legte eine Hand auf das blütenweiße Kissen. »Sogar frisch bezogen«, stellte sie erleichtert fest.
    »Natürlich ist es frisch bezogen!« Der Wirt verbeugte sich beflissen. »Bestimmt will der junge Herr zu Dr. Hahnemann, und der besteht darauf, daß seine Gäste aufs vorzüglichste bedient werden.«
    »Ja, zu Dr. Hahnemann will ich in der Tat.« Mélanie nickte. »Ein junger Herr bin ich indes nicht. Wenn Sie morgen eine Dame das Haus verlassen sehen, die Sie nicht zu kennen glauben, dann wundern Sie sich nicht weiter.«
    Der Mann hob die Augenbrauen und sah Mélanie forschend an. »Ich verstehe. Sie haben sich verkleidet.«
    »So ist es. Das Reisen ist gefährlich, wie Sie ja wissen, vor allem für eine Frau ohne männliche Begleitung.«
    »Natürlich, gnädige Frau.«
    »Wann kann ich das Mädchen schicken, Dr. Hahnemann zu holen?«
    »Mit Verlaub – Dr. Hahnemann kommt nicht zu seinen Patienten. Sie müssen sich selbst zu seinem Haus an der Wallstraße bemühen. Es
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