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no_way_out (German Edition)

no_way_out (German Edition)

Titel: no_way_out (German Edition)
Autoren: Alice Gabathuler
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    philosophin @philosophin
    Das Schicksal ist ein Finger, der auf dich zeigt.
     
     
     
    Ich hörte den Wagen kommen und überlegte, ob ich mich umdrehen und den Daumen in die Höhe halten sollte. Es war das erste Auto auf dieser Nebenstraße irgendwo im Nichts, vielleicht würde es für lange Zeit auch das letzte sein. Trotzdem entschied ich mich gegen das Trampen. Ich musste erst meinen Kopf leeren, den mir Smiley beim Abschied mit Wörtern bis unter die Schädeldecke vollgeschwallt hatte.
    Smiley gehört nicht zu den hellsten Leuchten, doch für manche Dinge hat er so was wie einen sechsten Sinn. Er musste geahnt haben, weshalb ich gekommen war, denn als ich mich neben ihn setzte, unten am Fluss, an seinem Lieblingsplatz, knetete er seine Hände, starrte auf das Wasser hinaus und schwieg.
    »Du machst die Fliege«, sagte er nach einer ziemlich langen Zeit, in der er keinen Ton von sich gegeben hatte.
    Ich schaute in die türkisfarbene Tiefe und nickte.
    Das öffnete bei ihm sämtliche Schleusen. Er legte los und redete, ohne Luft zu holen, als ob ich aufstehen und gehen würde, wenn er länger als eine Zehntelsekunde schwieg. Irgendwann hatte er sich leer geredet und mich voll. Ich stand auf. Er kapierte, dass unsere Zeit um war. »Mach’s gut, Mann«, sagte er. In seinen Augen standen Tränen.
    Ich wäre beinahe geblieben. »Du auch«, antwortete ich.
    Smiley hob den Kopf und schaute nach oben, zur Brücke. »Achtzehn Meter.« Sein Mund verzog sich zu dem schiefen Grinsen, das er bei unserer ersten Begegnung draufgehabt hatte, achtzehn Meter weiter oben, er auf dem schmalen Brückengeländer und ich steif vor Schiss ein paar Meter von ihm entfernt.
    Ich räusperte den Kloß aus meinem Rachen. »Achtzehn verdammte Meter«, antwortete ich krächzend.
    Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. »Pass auf dich auf«, sagte er ernst.
    Ich weiß nicht, ob man etwas denkt, wenn es einen erwischt, aber wenn ich an etwas gedacht habe, als mich der Wagen erfasste und über den Straßengraben schleuderte, dann an Smileys Worte. Pass auf dich auf . Und dass das mit dem sechsten Sinn vielleicht mehr als ein Gerücht war. Vielleicht dachte ich auch nichts, denn zwischen dem Zusammenstoß und der Landung auf dem Schotterhaufen lag bestimmt nicht mal eine Sekunde. Das ist zu wenig Zeit, um so viele Dinge zu denken.
    Nachdem es einen erwischt hat, ist die Welt nicht mehr dieselbe. Es riecht anders und man hört alles anders. Intensiver. Weit weg und irgendwie doch ganz nah. Das erste Geräusch, das ich wahrnahm, war ein röchelndes Stöhnen wie von einem verwundeten Tier. Ich konnte mich nicht erinnern, vor meinem unfreiwilligen Flug irgendein Lebewesen gesehen zu haben. Nur langsam sank die Erkenntnis in mich ein, dass ich es war, der diese jämmerlichen Laute von sich gab. Als wäre das nicht genug, drückte der Scheißkerl, der mich angefahren hatte, aufs Gaspedal und haute mit quietschenden Reifen ab. Nach einer Weile verlor sich das Röhren des Motors in der Ferne und ich war allein unter dem blauen Himmel mit der knalligen Sonne. Um mich war nichts als Stille.
    Sie füllte sich mit meinem rasselnden Atem und meinem Puls, der durch die Gehörgänge und gegen meine Schläfen hämmerte, ein kesselndes Schlagzeugsolo auf Speed. Würgend und hustend stemmte ich mich auf die Ellbogen und sah Blut, das auf die Steine tropfte. Eine Weile schaute ich zu, wie es zwischen ihnen versickerte. Dann dämmerte meinem benebelten Hirn, dass das mein Blut war. Mir wurde übel.
    Immer noch halb weggetreten, versuchte ich, mich in so was wie eine Sitzposition zu manövrieren, aber ein mörderischer Stich in meinem rechten Bein setzte mich außer Gefecht. Ich sackte zusammen und lag auf dem Schotter wie eine Katze, die man angefahren und liegen gelassen hatte. Weit über mir drehte sich der Himmel, so kitschig blau, dass ich die Augen schloss. Auf meinen Lidern brannte die Sonne, aus meinem Kopf rann Blut. Ich driftete weg.
    Eine Mücke, die ihren Rüssel in die Haut an meinem Hals bohrte, holte mich zurück. Ich klatschte sie tot.
    Tot , hallte es in meinem Kopf. Ich wollte nicht sterben.
    »Achtzehn Meter«, krächzte ich. »Achtzehn Meter, achtzehn Meter, achtzehn Meter.« Es klang wie eine Beschwörung. Dabei glaubte ich nicht an Geister, zumindest nicht an gute, aber Smiley tat es, und vielleicht reichte sein Glaube auch für mich.
    Ich fühlte, wie ich erneut abzudriften begann, und zwang mich, an Smiley zu denken. Vielleicht hört
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