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Haarmanns Kopf

Haarmanns Kopf

Titel: Haarmanns Kopf
Autoren: Roy Ebstein
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Satz. Er bückte sich, um die Bisswunde genauer in Augenschein zu nehmen. „Ich bin kein Experte, aber das sieht aus wie der Abdruck eines menschlichen Gebisses. Genau über dem Kehlkopf.“
    „Ja, Sie haben Recht. Das ist sehr ungewöhnlich und stellt in meiner Berufspraxis ein Novum dar“, sagte Dr. Ebeling. „Wie es so aussieht, ist der Kehlkopf gebrochen und wurde vermutlich mit brachialer Gewalt nach hinten in die Luftröhre gedrückt. Das führt unweigerlich zu einem langsamen und qualvollen Erstickungstod.“
    „Können Sie schon etwas zum Todeszeitpunkt sagen?“
    „Ich würde meinen, dass der Tod in der letzten Nacht, zwischen 1:00 Uhr und 3:00 Uhr, eingetreten ist.“
    „Sie sagen, der Kehlkopf ist gebrochen. Führt das nicht zu einem Bluterguss? Dann müsste sich doch eine sichtbare Schwellung gebildet haben, oder?“, fragte Martin.
    „Bei Kehlkopfverletzungen entsteht auch eine Schwellung, aber das Perfide daran ist, dass sie sich innen bildet“, antwortete Ebeling. „Aber, bitte denken Sie daran, im Moment ist alles hypothetisch. Sie müssen sich noch etwas gedulden.“
    Martin nickte bestätigend.
    „Wenn es sich wirklich im einen menschlichen Biss handelt, müsste DNA vorhanden sein.“
    „Das überprüfen wir ohnehin“, stellte Dr. Ebeling nüchtern fest.
    „Das alles wirkt wie ein kannibalisches Ritual. Bleibt, neben vielen anderen Punkten, die Frage offen, warum jemand auf eine derart bestialische Weise getötet wird“, sagte Yannik.
    „Das herauszufinden, ist Ihr Job.“ Der Arzt lächelte. „Wobei die Fragestellung sehr interessant ist.“
    „Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte Martin.
    „Mir ist nur ein Fall bekannt, bei dem jemand seine Opfer so ins Jenseits befördert hat. Und der liegt 90 Jahre zurück“, antwortete Dr. Ebeling.
    „Sie meinen Haarmann?“
    „Genau. Fritz Haarmann hat die meisten seiner Opfer auf diese Art getötet. Er wurde – wenn ich das richtig in Erinnerung habe – 1924 zum Tode verurteilt und 1925 in Hannover hingerichtet. Er verlor unter dem Fallbeil seinen Kopf. Haarmann zählt zu den schlimmsten Serienmördern der Geschichte“, erzählte Dr. Ebeling. „Und es kommt noch besser. Sein Kopf befindet sich hier in diesem Keller, in einem Nebenraum. Gut konserviert und eingelagert.“
    Martin und Yannik schauten einander fragend an.
    „Sie machen Witze, oder?“, fragte Martin.
    „Nein. Warum sollte ich? Schauen Sie, ich arbeite schon seit einigen Jahren – um nicht zu sagen – Jahrzehnten hier. Und da ergibt es sich, dass man über vieles Kenntnis erlangt, auch wenn es nicht zu dem Aufgabenbereich gehört, für den man zuständig ist. Es ist so, dass bis vor einigen Jahren circa 440 Exponate, in Kisten verpackt, in der alten Hautklinik, nicht weit von hier, gelagert wurden. Die Kisten waren vorher in der inzwischen abgerissenen Rechtsmedizin am Windausweg abgestellt. Dort waren die Exponate Jahrzehnte unter Verschluss, weil deren Leiter das Vorzeigen von Leichenteilen aus Pietätsgründen rundheraus ablehnten. Zuletzt durfte ein größerer Personenkreis Anfang der 1960er Jahre einen Blick auf Haarmanns Haupt werfen. Damals wurde eine neue Präparationsmethode vorgestellt. Seitdem liegt der Kopf nicht mehr in Formalin, sondern in einer Art Gelatine. Der Behälter ist luftdicht verschlossen.“
    „Und Sie sagen, dass dieser Kopf jetzt hier gelagert wird?“, wollte Martin wissen.
    „Ja, der Kopf müsste sich, genau wie die anderen Exponate, gleich nebenan befinden“, überlegte Dr. Ebeling. „Wenn Sie wollen, können Sie gerne einen Blick darauf werfen.“
    Das Gespräch wurde plötzlich durch ein Stimmengewirr unterbrochen, das aus dem Vorraum drang und lauter wurde.
    „Schau mal nach, was da draußen los ist“, forderte Martin seinen Kollegen Yannik auf.
    Dieser verließ den Raum und kam nach einigen Sekunden zurück.
    „Da ist jemand, der dich sofort sprechen will. Es scheint der Leiter der Rechtsmedizin zu sein“, sagte Yannik.
    „Das ist Professor Hunert“, sagte Dr. Ebeling. „Mein Chef. Ich wünschen Ihnen viel Spaß.“
    Martin verließ den Raum und sah sich einem etwa vierzigjährigen, gut gekleideten Mann gegenüber, dessen Gesicht vor Aufregung rot gefärbt war.
    Seine dunklen Augen blitzten hinter den Gläsern einer modernen Hornbrille, als er sagte: „Das ist ungeheuerlich, meine Herren. Wie kommen Sie dazu, das gesamte Gebäude abzuriegeln? Und dann noch mit einem derartigen Aufgebot. Man könnte ja meinen, hier sei
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