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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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kleinen, verschlafenen Ort. Das Herrenhaus machte den schon gewohnten, unterkühlt unfreundlichen Eindruck. Kein Geräusch drang in den Garten. Der Wagen des Sohnes stand ordentlich geparkt auf der Stellfläche.
    Was sollte er nun tun? Auf die Kollegen warten? Riskieren, dass ein Menschenleben vor der Zeit beendet wurde? Nein, untätig herumstehen, während in diesem Haus womöglich jemand um sein Leben kämpfte, kam für ihn nicht infrage. Das war nicht seine Art von Dienstauffassung.
    Die große Haustür war nur angelehnt. Er zögerte. Das war ja beinahe ein Déjà-vu.
    Im Flur lauschte er in alle Richtungen. Nichts war zu hören, nicht einmal das Brummen der Heizung. Er beschloss, die Räume systematisch zu checken und zog seine Stablampe aus dem Hosenbund.
     
    Johannes Gieselkes Kopf dröhnte, als sei ein Bautrupp damit beschäftigt, die Seitenwände seines Schädels einzureißen. Vorsichtig richtete er sich ein wenig auf. Vielleicht hatte er kurzzeitig das Bewusstsein verloren? Er brauchte ein paar Herzschläge, bis ihm wieder einfiel, wo er sich befand und warum er nicht neben seiner Bettina aufgewacht war.
    Die fluoreszierenden Zeiger seiner Uhr informierten ihn darüber, dass es 4 Uhr morgens sein musste. Mühsam rappelte er sich auf. Wer auch immer sie gefangen hielt, versuchte jedenfalls nicht, mit ihnen zu kommunizieren. Auf sein Schreien, Rufen und Klopfen erfolgte nicht ein einziges Mal eine Reaktion.
    Schließ mit deinem Leben ab, riet ihm seine unangenehme, innere Stimme unaufgefordert.
    Vielleicht war das Schwein längst nicht mehr im Haus, hatte sie beide einfach ihrem Schicksal überlassen, war weit entfernt und arbeitete an seinem Alibi. Zorn ließ Johannes mit den Zähnen knirschen.
    Wer? Diese Frage beschäftigte ihn nun schon seit Stunden. Er hatte darüber nachgedacht, während er vergeblich und mit wachsender Verzweiflung versuchte, einen Fluchtweg zu finden.
    Wer? So viele kamen gar nicht in Betracht. Das jedenfalls war ihm ziemlich schnell klar geworden.
    Nele? Wollte sie seine Familie auslöschen? Um sich für den Tod ihres kleinen Lieblings zu rächen? Das wäre denkbar. Große körperliche Kraft war ja nicht notwendig gewesen. Er war, wie sein Vater wahrscheinlich zuvor, freiwillig in die Falle getappt. Möglicherweise saß sie genau in diesem Moment mit seinem falschen Freund Richard im Flieger nach Kanada.
    Unerreichbar für den Vogelmann.
    Unter den süßlich-widerlichen Gestank, der von dem langsam verwesenden Schwein ausging, hatte sich fast unmerklich ein anderer Geruch gemischt. Gieselkes Nackenhaare sträubten sich. Gas!
     
    Peter Nachtigall versuchte, sich zu orientieren. Der Kegel seiner Lampe warf einen unruhig zuckenden Fleck mal hierhin, mal dorthin. Er zwang sich, den Arm ruhig zu halten und die Stablampe gleichmäßig durch die Luft zu führen. Der Strom war offensichtlich ausgeschaltet worden, doch solange der Mörder eventuell im Gebäude war, konnte er nicht ausprobieren, ob die Schalter einen Kontakt auslösten. Schließlich wollte er ihm seine Anwesenheit nicht durch flutendes Licht und spontan einsetzende Musikbegleitung mitteilen, sondern ihn überraschen.
    Es war bitterkalt.
    Die Bibliothek lag seelenlos in der Finsternis. Nachtigall tastete sich zur Couch vor und überprüfte, ob Olaf Gieselke dort berauscht eingeschlafen war.
    Nichts.
    Kein Schnarchen, kein Atmen, kein Ticken einer Uhr. Langsam schob Nachtigall sich zur nächsten Tür.
     
    Was konnte er tun? Gas war explosiv, erinnerte sich Johannes Gieselke, ein banaler Funke reichte, um ein Haus in die Luft fliegen zu lassen.
    Hektisch kramte er in seinem Gedächtnis nach gelernten Verhaltensregeln. Aus dem Biologieunterricht. Oder war es Chemie? Keine Funken, kein Feuer. Sammelte sich Gas nicht zuerst in Bodennähe? Hatte er deswegen das Bewusstsein verloren? Er musste irgendwo hinaufklettern. Auf einen Schrank vielleicht. Aber hier gab es nichts, auf das man hätte steigen können.
    Der Kühlraum! Dort hinein konnte er fliehen. Und erfrieren, freute sich die lästige Stimme in seinem Kopf.
    Rasch tastete er sich an der Wand entlang. Fand den Riegel. Packte zu.
    Er bewegte sich nicht einen Millimeter.
    Nachtigall verhedderte sich plötzlich in Stoff. Er schien sich um ihn zu schmiegen, nahm ihm den Atem, roch staubig. Entschlossen setzte er sich zur Wehr, streifte ihn nach einigen Schrecksekunden ab, identifizierte ihn als Vorhang und zog ihn zur Seite. Das erste Grau des Tages fiel schüchtern durch die
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