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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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deutlich härter getroffen. Und nun, wo alle dachten, sie finge ein neues, fröhliches Leben an der Seite eines liebevollen Mannes an, da stellte sich heraus, dass man sie ermordet hatte. Wenn jemand eine zweite Chance auf eine bessere Zukunft für die letzten Lebensjahre verdient gehabt hätte, dann doch auf jeden Fall Irma! Fast wie eine Heilige, eine Märtyrerin ertrug sie diesen Widerling, um ihrem Sohn ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Und nun?
    Traute seufzte schwer.
    Als sie aufsah, verschwand gerade ein ihr bestens bekannter Hundeschwanz hinter ihrem Rhododendron. Mit ungeahnter Behändigkeit sprang Traute auf, lief zur Tür und wetzte förmlich zum Gartentor. Etwas außer Puste erwartete sie dort die Hundebesitzerin.
    »Na, du konntest wohl auch nicht schlafen?«
    »Nein. Ist es nicht schrecklich? Erst der Enkel und nun verliert er auch noch die Frau. Das hat ihn doch sicher schwer getroffen. Wie soll man mit so vielen Schicksalsschlägen umgehen?«, meinte Claudia bekümmert und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge.
    »Ach ja, meinst du?« So zynisch hatte sie es gar nicht klingen lassen wollen, deshalb zuckte auch Traute ein bisschen zusammen, als sie ihre eigenen Worte hörte.
    »Du glaubst, er betrauert sie nicht?«, lautete erwartungsgemäß Claudias pikierte Gegenfrage.
    »Nein. Er bedauert nur das Fehlen der regelmäßigen Mahlzeiten und er wird wohl jemanden einstellen müssen, der ihm in der Jagdsaison das geschossene Wild zerlegt«, klärte Traute ihre naive Freundin auf.
    »Als ich spät noch mit dem Hund draußen war, habe ich gesehen, wie die Polizei bei Gieselke vorgefahren ist. Da haben sie ihm sicher die furchtbare Nachricht gebracht. Bis dahin herrschte noch der übliche Krach. Beethovens Neunte diesmal. Danach war nichts mehr zu hören. Und das Licht war auch überall aus. Richtig unheimlich sieht das Herrenhaus aus, wenn es so vollkommen duster ist.« Claudia schluckte schwer. »Das ist ja bei ihm total ungewöhnlich. Er hat sonst immer irgendwo Licht, schon wegen der Einbrecher. Und da habe ich mich gefragt, ob der alte Gieselke sich wohl was angetan hat. Die ganze Nacht hat mich das beschäftigt.«
    Traute betrachtete die andere mitleidig. Dummheit konnte eben auch schlaflos machen, dachte sie wenig schmeichelhaft. Laut sagte sie: »Der alte Gieselke und Selbstmord? Ha! Womöglich aus Liebe? Vergiss es! Weißt du, du bist wirklich hoffnungslos romantisch! Das verstellt manchmal den glasklaren Blick auf die Tatsachen, meine Liebe!«
    Unnatürlich laut schallte Trautes raues Lachen durch die menschenleere Straße. Claudia sah sich peinlich berührt um.
    »Jedenfalls steht jetzt der Wagen von Johannes vor der Tür. Und zu hören ist immer noch nichts. Ich glaube, der arme Kerl hält Totenwache.«
    »Na, dann wäre es wohl an der Zeit, dass jemand die Polizei verständigt!«
    »Wieso? Muss man das melden? Er hat einen Toten in der Familie. Ist doch nicht wie Läuse oder Scharlach!«, kicherte Claudia albern.
    Für Traute war es schwer zu glauben, dass jemand so wenig Denkvermögen besitzen sollte. Sie holte tief Luft, verkniff sich jedes Wort zu Claudias Intelligenzquotienten und erklärte beinahe geduldig, was sie damit meinte.
    »Johannes sucht das Testament. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Alte ihn nach dem Tod von Maurice enterbt hat. Vielleicht soll die Kleine alles erben. Nun will Johannes das Testament vernichten und wird am Ende doch Alleinerbe. Danach wird er die ›Gurklinge‹ verkaufen und hoffen, sein Vater guckt aus der Hölle zu.«
    »Ich verstehe überhaupt nichts mehr«, gestand Claudia und machte auch äußerlich plötzlich einen verwirrten Eindruck.
    »Wetten, dass am Ende herauskommt, er hat beide Eltern aus Rache für den Tod seines Sohnes umgebracht? Der letzte Schlag gegen seinen verhassten Vater ist der Verkauf der blöden Gurkenfirma. Du kannst davon ausgehen, der junge Mann sucht schon die ganze Nacht nach dem Dokument.«
    »Meinst du?« Claudias Augen waren vor Fassungslosigkeit und Bewunderung weit aufgerissen. »Im Dunkeln? Es brennt ja noch immer nirgendwo Licht im Haus.«

71
    Peter Nachtigall hetzte zu seinem Wagen und raste los. Wie an jedem Morgen ging es für seinen Geschmack viel zu langsam auf der Bahnhofstraße voran. Und Zeit, davon war er überzeugt, hatte er nur begrenzt.
    Wenn seine Theorie stimmte, ging es um Leben und Tod. Er setzte das Blaulicht aufs Dach und schaltete das Sondersignal ein. In Rekordzeit erreichte er den
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